Grausame Tötungsmaschinerie stoppt Tierseuchen nicht

10.04.2006

Demeter-Bund und Experten fordern anderes Vorgehen gegen Vogelgrippe – Profitstreben als Ursache benannt – Forschung zu einseitig auf Vogelflug fixiert

DARMSTADT/DORNACH (NNA). Gegen die Bekämpfung von Tierseuchen wie der Vogelgrippe mit einer „schier unvorstellbaren Tötungsmaschinerie“ haben sich jetzt der Demeter-Verband sowie die landwirtschaftlichen und medizinischen Experten der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, dem Goetheanum in Dornach ausgesprochen. Die grausame Vernichtungen der Tiere in Zusammenhang mit den aufgetretenen Vogelgrippefällen zeuge von einer „schockierenden Gleichgültigkeit und Herzlosigkeit der Menschen“ diesen Tieren gegenüber, betont Dr. Michaela Glöckler von der Medizinischen Sektion des Goetheanum. Jetzt gelte es, sich nicht anstecken zu lassen von der Hysterie und klar zu überlegen, schreibt Dr. Glöckler in einer von der Pressestelle des Demeter-Bundes veröffentlichten Stellungnahme. Nur so habe man die Chance, zu seiner eigenen Heilung und zur Heilung der Umwelt beizutragen.

Für Demeter-Vorstandsmitglied Christoph Simpfendörfer liegt auch bei der Vogelgrippe der Kern des Problems im „zu stark am Profit orientiertes Handeln des Menschen“. Die Hühnerhaltung habe sich inzwischen so weit von der bäuerlichen Verantwortung entfernt, dass in der Geflügelindustrie vier Konzerne weltweit agierten. Sie handelten Bruteier, Küken und „ausgediente" Tiere wie Wirtschaftsgüter, nicht wie lebendige Wesen. Durch die Selektion auf Hochleistungstiere sei genetische Vielfalt verloren gegangen und damit auch Potential für robuste Tiere. All dies erinnere sehr an die BSE-Problematik, betonte Simpfendörfer.

Die Demeter-Fachleute kritisieren außerdem die einseitige Orientierung der Forschung auf den Vogelflug als Übertragungsweg der Vogelgrippe. Es sei inzwischen deutlich geworden, dass der Vogelzug als Überträger des Virus „deutlich überbewertet“ werde, heißt es in der Stellungnahme des Demeter-Bundes. Bei der Mehrzahl der weltweit aufgetretenen Fälle komme dieser Übertragungsweg gar nicht infrage, viel wahrscheinlicher sei auch nach Meinung der Wissenschaftler inzwischen die Infektion der betroffenen Tiere durch Tiertransporte, verseuchte Lebensmittel oder auch den nahezu weltweiten Handel mit Geflügelmist. Fatal sei dabei, dass die Exkremente aus den großen Beständen der Geflügelindustrie auch zum Düngen von Fischteichen und als Futterkomponente für Fische, Geflügel und Schweine verwendet würden. Die Forschung müsse schnellstens auch auf diese Übertragungsmöglichkeiten ausgedehnt werden, fordert Demeter.

Durch diese neuen Hinweise verliere die flächendeckende Stallpflicht klar an Bedeutung im Gesamtzusammenhang des Erkrankungsgeschehens, betont der Demeter-Bund und fordert die politisch Verantwortlichen auf, die allgemeine Stallpflicht zu überdenken. Sinnvoll sei Stallpflicht im Umkreis von erkrankten Beständen. Eine weitere wichtige Maßnahme sei die Ausgrenzung von Gewässern aus dem Geflügelauslauf und außerdem müsse Kontakt mit wildem Wassergeflügel verhindert werden.

Dr. Georg Eysel-Zahl vom Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise mahnt ein sorgfältiges Abwägen von Risiken und Nutzen im Bezug auf das Aufstallen über noch längere Zeiträume hinweg an. Gerade der vorsorgende Verbraucherschutz erfordere auch die artgemäße Haltung der Tiere. Die Vogelgrippe dürfe nicht dazu missbraucht werden, Intensiv-Haltungssysteme zu rechtfertigen und die so genannte ausgestaltete Käfighaltung zu forcieren," warnt er.

Auch Nikolai Fuchs, Leiter der landwirtschaftlichen Sektion am Goetheanum, plädierte als Konsequenz aus den aufgetretenen Vogelgrippefällen in der Nutztierhaltung dafür, die Anonymisierung in der Haltung der Tiere zu beenden. „Hermetisch abgeriegelte Ställe, die wie eine Industrieanlage geführt“ würden, seien Ausdruck der zunehmenden Entfremdung des Verbrauchers zu seinem täglichen Lebensmittel, betonte Fuchs „ Wir müssen eine Atmosphäre schaffen, die den Tieren Wohlbefinden ermöglicht. So wird auch ihre Widerstandskraft gegen Krankheiten gestärkt und wirklich gesunde Nahrung erzeugt." Fuchs unterstrich die gemeinsame Verantwortung von Verbrauchern und Tierhaltern. Die Verbraucherschutzpolitik müsse die Würde der Kreatur beachten und sie nicht für ein trügerisches Sich-in-Sicherheit -Wiegen der Menschen opfern. „ Sperren wir alles Leben nur noch weg wie jetzt das Geflügel, verlieren wir einen Teil unserer Kultur“, betonte Fuchs.

Auch die Demeter-Bauern, die ihre Nutztiere nicht nur artgerecht, sondern wesensgemäß halten, machen sich nach Angaben des Demeter-Bundes Sorgen wegen der Stallpflicht. Eine dauerhafte Stallhaltung sei weder artgerecht noch wesensgemäß. Selbst der großzügige Wintergarten als Auslauf könne da nur ein schwacher Trost sein. „ Bei uns häufen sich Anrufe kritischer Verbraucher, die eindeutige Stellungnahmen gegen Aufstallungspflicht für Geflügel und deren vorsorgliche Tötung vermissen," berichtet der bio-dynamische Geflügelhalter Carsten Bauck aus der Lüneburger Heide. Gerade jetzt im Frühling lechzten die Tiere danach, das erste Grün zu picken, nach Würmern zu scharren und Sandbäder in der Sonne zu nehmen. Bauck erinnert daran, dass Tierschutz im Grundgesetz verankert ist – und zur Zeit mit Füßen getreten werde. „Das müssen die Hühner ausbaden. Wer sieht, wie sich meine Mädels jetzt bei Sonnenschein vor den Auslaufklappen drängen, weiß was ich meine,“ betont der Demeter-Geflügelhalter.

Zu einem intakten ökologischen System – der Voraussetzung für gesunde, widerstandsfähige Tiere und hochwertige Lebensmittel – gehöre eben auch der seelisch-geistige Aspekt in der Haltung der Tiere, betont Demeter.

Quelle: NNA