hessnatur-Übernahmekampf: Capvis oder die Kunst, rechtlich einwandfrei die Unwahrheit zu sagen

24.07.2012

Einstweilige Verfügung

Am 1. Oktober (Ausfertigung 2. Oktober) hat die Hess Natur-Textil GmbH, vertreten durch Maximilian Lang, gegen Johannes Mosmann und Andreas Schurack, die Betreiber der website www.wir-sind-die-konsumenten.de, eine einstweilige Verfügung beim Landgericht Frankfurt am Main erwirkt, die ihnen untersagt, einen der folgenden Zusammenhänge zu behaupten oder behaupten zu lassen:

a. "Die Zahlungen der Kunden der Hess Natur-Textil GmbH gingen in die Rüstungsindustrie"
b. "Die Anteilseignerin Capvis der Hess Natur-Textilien GmbH sei in die Rüstungsindustrie verstrickt"
c. "Das australische Militär vermehre sein Geld über jeden Einkauf bei der Hess Natur-Textilien GmbH"

Aus diesem Grund mussten wir Texte und Textstellen, die die einstweilige Verfügung betreffen, auch von dieser website entfernen. Johannes Mosmann und Andreas Schurack haben ihren Anwalt beauftragt, Widerspruch zu erheben. Solange die einstweilige Verfügung jedoch wirksam ist, ist ihnen "bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis € 250.000, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten" untersagt, solche Zusammenhänge zu behaupten oder behaupten zu lassen.

Download einstweilige Verfügung (PDF)

Zwei Welten prallen aufeinander

"Auch wir haben uns als Capvis selbst Grenzen gesetzt und uns zu Werten bekannt. In unserer Satzung haben wir festgeschrieben, nur in Branchen und Unternehmen zu investieren, die ethischen und sozialen Standards gerecht werden. Wir investieren nicht in Tabak, Rüstung, Glücksspiel, Alkohol." So Andreas Simon, Partner von Capvis gegenüber den Mitarbeitern von hessnatur am 13. Juni 2012, zwei Wochen nach der Übernahme des Marktführers für Ökotextilien durch die Private Equity Gesellschaft.

Andreas Simon sagt nicht die Unwahrheit. Capvis investiert nicht in die Rüstung, sondern in "saubere" Geschäfte - wie zum Beispiel in hessnatur (siehe hier). Nur dass diese dann nicht sauber bleiben, sondern stinken. Das finden zumindest die ehemaligen Kunden von hessnatur. Knapp 3.000 von ihnen haben sich bereits auf wir-sind-die-konsumenten.de eingetragen und rufen dort zum Boykott des Ökomodenversenders auf. Offenbar repräsentiert jeder dieser Kunden eine größere Anzahl von Kunden, die genau so handeln, sich aber nicht im Netz eintragen. Die Nachfrage bei hessnatur ist nämlich mittlerweile um einen zweistelligen Prozentsatz zurückgegangen.

Das ist ein Problem für Capvis. Capvis will nämlich eigentlich "das bislang schon hochprofitable Unternehmen in einem Zeitraum von bis zu zehn Jahren auf einen ambitionierten Wachstumskurs schicken", wie der Focus berichtete. Eine Kundin äußert sich dazu auf dem hessnatur-blog: "Wie soll ich mir das vorstellen? Will Hess-Natur mit Otto konkurrieren? Das ist praktisch nicht möglich. Soviel Biofasern, fair gehandelt, sind auf dem Markt gar nicht verfügbar. Also MÜSSEN die Standards runtergefahren werden, anders ist ein größeres Verkaufsvolumen gar nicht machbar. Hess hat schon jetzt immense Lieferzeiten. Ich vermute auch, das Design wird dem Mainstream angepasst werden – noch etwas, was mich persönlich abstößt. Außerdem gehört zu einem Ökokonzept auch der verantwortliche Umgang mit den Gewinnen, der bei einem gesichtslosen, gewinnspezialisierten Finanz-Unternehmen wie Capvis quasi ausgeschlossen ist. Wir Kunden haben Hess-Natur groß und stark gemacht, wir sind ein Teil von Hess-Natur."

Die Laufzeit des Fonds endet allerdings in sechs Jahren, so dass hessnatur wohl eher schon im Jahr 2018 gewinnbringend weiterverkauft werden soll. Bis dahin muss hessnatur jährlich 7 - 20 % des Kaufpreises für die Anleger von Capvis abwerfen. Die Konsumenten sind jedoch offenbar nicht bereit, Menschen ihr Geld zu schenken, die mit der Produktion ökologischer und fair gehandelter Textilien nicht nur nichts zu tun haben, sondern damit ausgerechnet das genaue Gegenteil finanzieren. Immer mehr hessnatur-Kunden erklären deshalb auf wir-sind-die-konsumenten.de: "wir kaufen erst wieder, wenn die Genossenschaft hnGeno Eigentümer geworden ist!"

Die Anleger der größten Private-Equity-Gesellschaft der Schweiz interessieren sich nicht für die Näherinnen und Näher von hessnatur. Sie wissen nicht einmal, dass es sie gibt. Sie interessiert nur Bares. Sie wissen wahrscheinlich auch gar nicht, dass dieses Bare von Menschen stammt, die damit einen Beitrag für Umwelt und mehr Solidarität leisten möchten. Aber vielleicht sollte man einfach mal einen von ihnen fragen, ob er weiß, woher das Geld kommt und wofür es eigentlich gedacht ist?

Die rechtlich einwandfreie Unwahrheit

Capvis sagt nicht die Unwahrheit. Capvis weiß nur nicht, was die Wahrheit ist. Das ist ein Unterschied. Es ist wirklich verblüffend: Mit jeder noch so gut gemeinten Äußerung bestätigt Capvis genau das, was die Kunden befürchten und wogegen sie kämpfen: die große Lüge über das soziale Leben. Man braucht nur zuzusehen, wie Capvis sich selbst demontiert - indem es einfach ist, was es ist. Capvis zeigt sich zum Beispiel "schockiert" über die Reaktion der Kunden. Aber dann bittet Capvis den Betriebsrat zu einem "inoffiziellen" Gespräch, und winkt mit dem Zaunpfahl, dass man sich den Kuchen doch auch teilen könne. Der Betriebsrat solle in Zukunft mit Capvis absprechen, welche Informationen an die Kunden gelangen dürfen und welche nicht. Ähnliches hatte bereits Paragon versucht, die hessnatur vor Capvis kaufen wollte.

Hier liegt ein grundsätzliches Kommunikationsproblem vor: Gesellschaften wie Capvis übernehmen die Betriebe für gewöhnlich, indem sie zuerst Geschäftsführung und leitende Angestellte kaufen. Auf die Art will der Investor den "Prinzipal-Agent-Konflikt" lösen, wie sich das in der Fachsprache nennt, also den Interessenskonflikt zwischen Spekulant und verantwortungsvollem Mitarbeiter durch eine Beteiligung verschwinden machen. Genau das hat bei hessnatur aber nicht funktioniert - für Capvis eine ganz neue Erfahrung. Die Partner von Capvis haben nur gelernt, dass die Welt käuflich ist. Persönlichkeiten wie der Betriebsratsvorsitzende Walter Strasheim Weitz, aber auch die Geschäftsführung von hessnatur, sind für Capvis deshalb jetzt ein echtes Erkenntnisproblem.

Thorsten Klapproth von WMF gibt dagegen niemandem mehr Rätsel auf. Nachdem der Vorstandschef des Besteckherstellers im Jahr 2009 kurz vor Weihnachten 71 seiner Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlassen hatte, erklärte er gegenüber der Presse: „Es ist das unsozialste, was man machen kann, einen Bereich weiter laufen zu lassen, und damit das Ganze zu gefährden". Capvis verlagerte die Produktion des gesamten Rohbestecks und andere Sparten nach China, und setze in Deutschland vermehrt auf Zeitarbeit. Jetzt hat Capvis das Traditionsunternehmen weiter verkauft - an den für massiven Stellenabbau berüchtigten US-Investor "KKR". Und Thorsten Klapproth? Der soll für den Verkauf des ihm anvertrauten Unternehmens 40 Millionen Euro Belohnung von Capvis bekommen haben, zusätzlich zum Vorstandshonorar. Diese Vergütung bezog sich allerdings, wie Mitbewerber Andreas Weißenbacher vermutet, auch auf die Vorgänge vor sechs Jahren: Demnach war Thorsten Klapproth bereits damals im Vorstand von WMF und sorgte dafür, dass das Unternehmen an Capvis verkauft wurde, obwohl Andreas Weißenbacher das höhere Gebot abgegeben hatte. Ähnlich könnte der Fall auch bei hessnatur liegen.

Alles läuft wie geschmiert, solange nicht ein Mensch da ist, der zum Rätsel werden kann. Für Thorsten Klapproth müsste sich allerdings wenigstens die Staatsanwaltschaft interessieren. Der Gesetzgeber verlangt nämlich eine Bekanntgabe der Beteiligungen von Vorständen und Aufsichtsratsmitgliedern, wenn sie einen Prozentpunkt übersteigen. Diese Gesetzesvorgabe macht auch Sinn, da bei einer größeren Beteiligung die Entscheidungen des Vorstandes nicht nur das Interesse des Unternehmens und seiner Mitarbeiter wiederspiegeln dürften. Im WMF-Jahresbericht von 2011 heisst es jedoch: „Der Gesamtbesitz aller Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder übersteigt nicht ein Prozent der von der Gesellschaft ausgegebenen Aktien.“ (Quelle: Stuttgarter Zeitung)

Trotzdem - Capvis lügt nicht! Denn um die heimliche Beteiligung des Vorstandes möglich zu machen, hatte Capvis eine weitere Gesellschaft dazwischengeschaltet. Dadurch sagt der Geschäftsbericht doch wieder die Wahrheit. Zumindest glaubt das Daniel Flaig von Capvis: „Wir haben das x-mal juristisch abprüfen lassen, es geht hier nicht nach Gefühlen, sondern nach der rechtlichen Beurteilung.“

Die Wahrheit wurde von Capvis juristisch geprüft, und so kann man sich jetzt sicher sein, die wirkliche, ganze Wahrheit herausgefunden zu haben. Es ist allerdings eine sehr umständliche, nur schwer zu vermittelnde Wahrheit geworden. Sie lautet so: "Wie in der Hauptversammlung 2007 erläutert, gibt es eine Minderheitsbeteiligung des Vorstands an der Crystal Capital BV, die wiederum über die Crystal Capital GmbH die Anteile an der WMF AG hält. Als Minderheitsgesellschafter hat der Vorstand, wie ebenfalls in der Hauptversammlung 2007 erläutert, jedoch keinen beherrschenden Einfluss auf die Crystal Capital BV und damit Crystal Capital GmbH, das heißt er kann auch nicht das Stimmverhalten der Crystal Capital GmbH auf einer Hauptversammlung der WMF AG beeinflussen. Damit werden die WMF Aktien, die von der Crystal Capital GmbH gehalten werden, nicht dem Vorstand, sondern dem Mehrheitsgesellschafter der Crystal Capital BV, das heißt der Crystal Finance Sarl, zugerechnet. Wie ebenfalls bereits in 2007 erläutert, beträgt die Minderheitsbeteiligung des Vorstandes weniger als 20 Prozent an der Crystal Capital BV. Die Aussage im Geschäftsbericht, dass es der Gesamtbesitz von Vorständen und Aufsichtsrats-Mitgliedern, direkt oder indirekt, nicht größer als 1 Prozent ist, bezieht sich auf die Anforderungen aus dem Corporate Governance Codex (Ziff. 6.6). Auch dieser stellt auf die Zurechnung von Aktien ab, das heißt, dass die Anteile zum Beispiel über eine Mehrheitsbeteiligung oder eine Mehrheit der Stimmrechte zugerechnet werden können. Beide Punkte, Mehrheitsbeteiligung und Mehrheit der Stimmrechte, liegen im Falle der Minderheitsbeteiligung des Vorstands an der Crystal Capital BV nicht vor. Insofern werden die Anteile dem Vorstand nicht zugerechnet und sind damit entsprechend dem Corporate Governance Codex nicht angabefähig. Damit ist die Aussage im Geschäftsbericht, dass der Gesamtbesitz von Vorständen und Aufsichtsratsmitglieder -Mitgliedern, direkt oder indirekt, nicht größer als 1 Prozent ist, richtig.“ (Quelle: Stuttgarter Zeitung)

Die Wahrheit über Marc Sommer

Capvis sagt nicht die Unwahrheit. Es ist nur sehr schwer, sich nicht selber im selbst gestrickten Geflecht zu verheddern. So kompliziert ist dieses Geflecht, das, wie Wikipedia erklärt, dazu da ist, die menschliche Verantwortung auszuschalten, dass ein Mensch schnell den Überblick verlieren kann. Wie Marc Sommer, als er Quelle an die Wand fuhr. Weiß das noch jemand? Damit hatte die Spekulation um hessnatur ja angefangen (siehe hier). Die Mitarbeiter von hessnatur haben das nicht vergessen. Für sie ist es deshalb mehr als die Unwahrheit, wenn sie aus der Presse erfahren müssen, dass Marc Sommer jetzt tatsächlich wieder an hessnatur beteiligt ist - nachdem Andreas Simon vor den versammelten Mitarbeitern von hessnatur auf die mehrfache Nachfrage des Betriebsratsvorsitzenden antwortete: "Natürlich hat Marc Sommer sich das gewünscht, aber Sommer ist nicht Eigentümer, sondern Capvis hat 100% der Anteile übernommen." Juristisch gesehen ist das bestimmt eine einwandfreie Wahrheit. Aber im wirklichen Leben ist es die Lüge. Das wissen die Menschen, die durch ihr Wahrheitsstreben überhaupt erst den Boden für Ökologie und Solidarität im ansonsten umwelt- und menschenverachtenden Textilhandel bereiteten. Sie werden die Wahrheit nicht aus den Augen verlieren, auch nicht angesichts einer nun häufiger wechselnden Sommerkollektion.

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