Medien und Wirtschaft überholen das Parlament

24.06.2001

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse setzt seine Klage über den Bedeutungsverlust des Parlaments fort. Er schrieb in einem Beitrag für die "Frankfurter Rundschau" (Montagausgabe), wichtige Debatten fänden in Talkshows statt, bevor sich die Politiker im Parlament äußerten. Da ein Politiker, der in den Medien nicht vorkomme, kaum existiere, gebe es einen "Zwang, sich und seine Ideen für die Medien zu inszenieren". Die Politiker seien "die Getriebenen im Wettlauf der Medien um die neueste Nachricht". Es gebe einen "Bedeutungsverlust des Politischen, der selbstverständlich auch das Parlament betrifft", schrieb Wolfgang Thierse. So griffen ökonomische Prozesse viel schneller und stärker in das Schicksal der Menschen ein, als im Parlament erstrittene Entscheidungen.

Hoch lebe der Bedeutungsverlust des Politischen!

Es ist töricht zu meinen, dass eine Handvoll Volksrepräsentanten die Meinung des Volkes besser artikuliert, als die Medien, die Milionen von Bürgern in einem differenzierten Meinungsbildungsprozeß engagieren. Das Volk ist bei der Meinungsbildung nicht auf die Argumente und die Rethorik der Abgeordneten angewiesen, sondern bewegt sich als mündiger Bürger in der Medienlandschaft unserer Informationsgesellschaft. Sogar die Bildzeitung braucht sich nicht gerade von Politikern in die Ecke stellen zu lassen.

Wenn Wolfgang Thierse festzustellen meint, dass ökonomische Prozesse unser Leben stärker bestimmen, als politische Entscheidungen, dann ist dies ein Faktum mit dem wir umzugehen lernen müssen und nicht kontrasteuern mit einer stärkeren politischen Gestaltung. Vielmehr müssen die ökonomischen Entwicklungen durch Vernetzung und Sozializierung der Betriebe und Branchen harmonisiert werden. Dies kann nur stattfinden, wenn die Politik auf Regelungen verzichtet, Preisabsprachen und die freie Bildung von Wirtschaftsräten zuläßt.