Das Geldproblem ist kein Kriegsproblem sondern ein Staatsproblem

Quelle: GA 334, S. 204-208, 1. Ausgabe 1983, 26.04.1920, Basel

Nicht etwa heraus aus dem russischen Sozialismus, o nein, am allerwenigsten ist der Leninismus und Trotzkismus aus dem russischen Sozialismus heraus geboren. Niemals hätte etwas wie der Leninismus und der Trotzkismus aus dem russischen Sozialismus heraus geboren werden können. Da wäre etwas ganz anderes herausgekommen, wenn man Verständigung gesucht hätte in vernünftiger Weise von Seiten der Intellektuellen zur Seite der breiten Masse der Bevölkerung. Nein, Lenin und Trotzki sind nicht aus der Revolution herausgewachsen! Lenin und Trotzki sind aus den Kreisen herausgewachsen desjenigen, was der Krieg als Ergebnis gebracht hat, desjenigen, was durch den Krieg geworden ist als letzte Konsequenz des Militarismus, daraus sind Lenin und Trotzki erwachsen. Die Ergebnisse des Krieges sind eingezogen in Rußland und haben neuerdings dasjenige, was von unten heraufwollte, mit dem man sich hätte verständigen sollen, niedergehalten. Lenin und Trotzki sind keine Helden des Sozialismus; sie sind die Söhne der europäischen Kriegskatastrophe und sind nur dadurch möglich geworden, daß über Rußland sich das Elend der Kriegsfolgen ausgebreitet hat. Und dasjenige, was im übrigen Europa war, lesen Sie das sehr schöne Buch - aber man könnte vieles andere noch verfolgen - von Keynes, «Die ökonomischen Folgen des europäischen Friedensschlusses». Dasjenige, was sich über das übrige Europa ausbreitete - was ist es denn? Ist es etwa das Bekenntnis des wirtschaftlichen Denkens; ist es das wirtschaftliche Streben bis 1914, das uns in die furchtbare Katastrophe hineingebracht hat?

Nein, das ist es nicht, sondern dasjenige, was wir erleben, einschließlich aller Valutasorgen einzelner Länder, ist nicht ein gesundes Zurückkehren zu gesunden Ansichten, die man glaubt bekommen zu können dadurch, daß die Krankheit sich ad absurdum geführt habe durch die Katastrophen. Dasjenige, was wir erleben, ist Ergebnis des Krieges. Aus einem sehr, sehr kurzsichtigen Urteil heraus hat ein deutscher General die Worte geprägt, die während dieser Kriegskatastrophe vielfach nachgesprochen worden sind: Der Krieg ist nur die Politik mit anderen Mitteln ausgeführt.

Ich habe während des Krieges immer wieder dieses Diktum mit dem Wort verglichen: Die Scheidung ist nur die Ehe mit anderen Mitteln fortgeführt! Aber mit einer gewissen richtigen Variante könnte man doch sagen: Dieser Friede ist, insbesondere auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens, nur die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln. Das sagt man wahrhaftig nicht wiederum mit einer agitatorisch oder von irgendeiner Seite her gefärbten Betrachtung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Zustände, sondern das sagen selbst so objektive Urteiler, von derjenigen Seite, die heute am allermeisten Veranlassung hätte, objektiv zu urteilen, von seiten der Engländer, das sagt eben Keynes in seinem Buche «Die ökonomischen Folgen des Friedensschlusses».

Nun, sehen Sie, wenn man diese Dinge wirklich ins Auge faßt, dann muß man sagen: Oh, viel, viel tiefer liegen die Ursachen der gegenwärtigen wirtschaftlichen Katastrophen! Und schließlich, man braucht ja nur einmal das heutige Wirtschaftsleben, wie es sich heraufentwickelt hat, zu betrachten. Man braucht sich nicht gefangennehmen zu lassen von den einseitigen Deklamationen über Kapitalismus und Antikapitalismus, sondern man braucht sich nur den objektiven und gewiß durch die modernen Verhältnisse berechtigten Tatsachen hinzugeben, daß unser Wirtschaftsleben innig verquickt ist mit dem, was wir nennen müssen die Geldwirtschaft.

Nun, ich bin selbstverständlich weit entfernt von der närrischen Idee, etwa die Geldwirtschaft bekämpfen zu wollen. Darum kann es sich nicht handeln, denn das würde ich eben für eine närrische Idee halten, ebenso gut wie ich es für eine närrische Idee halte, das Geld irgendwie auch reformieren zu wollen. Nein, sondern dasjenige, um was es sich handelt, ist, daß durch die ganzen modernen wirtschaftlichen Verhältnisse dasjenige, was im Gelde vorliegt, innerhalb des Wirtschaftslebens abstrakt geworden ist.

Ein englischer ökonomischer Zeitungsmann sagte mit vollem Rechte: Welche Funktionen eigentlich das Geld in unserem Wirtschaftsleben hat, das ist außerordentlich verwickelt und eigentlich gar nicht wirklich auseinander zu schälen für eine Betrachtung. - So ist es ja. Aber ich könnte mich durch einen Vergleich klarmachen.

Sehen Sie, meine sehr verehrten Anwesenden, wenn jemand ein Denker ist von recht abstrakter Wesenheit, wenn er immer gleich übergeht von dem Besonderen zum Allgemeinen, wenn er etwa draußen auf der Wiese allerlei Blumen mit einem konkreten Namen sieht, und dann sagt: Pflanzen oder Blumen - und «Blumen» vergleicht mit Tier und so weiter, so denkt er abstrakt. Er bringt abstrakte Gedanken, die vieles umfassen, und breitet sie wie einen Teppich aus über die konkreten Teile.

So ist es im wirklichen Wirtschaftsleben mit dem Gelde. Das Geld bringt in das reale wirtschaftliche Leben, in die Wirklichkeit ein ganz abstraktes Element hinein. Denken Sie doch, wenn ich der Besitzer von 50 Franken bin, so bin ich eben der Besitzer dieser 50 Franken, und es ist ganz gleichgültig zunächst, wenn ich die 50 Franken im Portemonnaie habe, ob ich mir morgen für die 50 Franken einen Hasen oder ob ich mir Mehl oder irgendeine silberne Uhr kaufe, oder ob ich mir einen Rock kaufen werde oder dergleichen. Die Konkretheit des Wirtschaftslebens hört auf gegenüber der Abstraktheit des Geldes. Das kommt dann zum Vorschein in dem Augenblicke, wo Geld gegen Geld steht, wo man Geld kauft. Man kann das am besten sehen, wie sich, geradeso wie die Abstraktionen sich verbergen vor der Realität des Denkens, wie sich die Abstraktheit des Geldes verbirgt vor der Realität. Sehen Sie, wer in den letzten Wochen die Zeitungen verfolgt hat in Deutschland, der konnte finden, daß die Leute eine große Freude gehabt haben über das bißchen Besserwerden der Valuta. Sie ist ja dann aber zurückgegangen.

Und wer die tieferen Zusammenhänge kennt, der wird sich nicht sehr imponieren lassen von zeitweiligem Besserwerden dieser Valuta. Nun, aber allen möglichen Ursachen wurde die Sache zugeschoben, wobei aber im Hintergrunde nichts anderes stand, als daß in Spanien vorhandene deutsche Noten durch irgendeine besondere Konstellation, durch eine besondere Absicht von Amerikanern an der Börse gekauft worden sind, und daß das das bißchen Hinaufschnellen der deutschen Valuta bewirkt hat. Das entzog sich den Blicken aus dem einfachen Grunde, weil immer dann, wenn das Geld als solches im Handel umläuft, wenn Geld als solches gehandelt wird, dann steht das ferne dem konkreten Wirtschaftsleben, und man sieht nicht mehr die Zusammenhänge. So wie wenn jemand eben abstrakt spricht, einem ein Mühlrad im Kopfe herumgeht und man nicht mehr eine Ahnung davon hat, was er eigentlich mit seiner Abstraktheit meint, so weiß man nicht mehr bei den Geldmanipulationen, was nun eigentlich im Wirtschaftsleben vor sich geht.

Sehen Sie, in diesen Dingen liegt es im wesentlichen in einem Fremdwerden des Verkehrsmittels Geld im eigentlichen Wirtschaftsleben; und das ist der Grund, daß wir in eine so furchtbare Wirtschaftskrise hineingekommen sind. Denn diese Wirtschaftskrisis war eigentlich schon vor dem Kriege da, und der Krieg war nur der Ausdruck für diese Wirtschaftskrise. [Lücke.]

Sehen Sie, es könnte ja einer, sagen wir, im Jahre 1865, die größtmöglichen Anlagen gehabt haben für die Luftschiffahrt, - er konnte diese Anlagen nicht betätigen, weil es noch keine Luftschifffahrt gab! Es hilft nichts, auf irgendeinem Gebiete des Lebens bloß gescheit zu sein. Wenn einen die Verhältnisse hinwegführen von dem unmittelbaren Erleben desjenigen, das erlebt werden soll, dann hilft einem jeglicher gescheite Gedanke gar nichts. Und daß man gerade auf wirtschaftlichem Gebiete, wie auch auf anderen Gebieten, hinweggetrieben worden ist vom wirklichen Leben, das brachte die ganze moderne Zivilisation dadurch hervor, daß man die drei Hauptgebiete des Lebens: Geistesleben, politisches oder Rechtsleben und Wirtschaftsleben, immer mehr und mehr zu einem Einheitsstaat zusammengeschweißt hat.

Dem Zusammenschweißen in dem Einheitsstaat war die Geldwirtschaft günstig. Wie gesagt, ich bitte, mich durchaus nicht mißzuverstehen, daß ich etwa gegen die Geldwirtschaft irgend etwas einwenden wolle. Ich will nur darauf hinweisen, wie dasjenige, was nicht erfaßt worden ist von der Geldwirtschaft, gerade zur Gesundung unseres wirtschaftlichen Lebens führen muß!