Die Goldwährung läßt sich nur durch aktives Denken einschätzen

Quelle: GA 334, S. 244-245, 1. Ausgabe 1983, 04.05.1920, Basel

Sehen Sie, wenn man meine «Geheimwissenschaft» nehmen und lesen würde mit derjenigen Gesinnung, die man heute besonders liebt, dann ist sie strohern, dann haben Sie auch ein Recht, darüber zu schimpfen. Sie ist nicht in der Lage, Ihnen so viel zu sagen, wie Ihnen gesagt wird, wenn Sie sich in ein Kino setzen und da Bilder vor Ihnen abrollen. Sie brauchen nicht viel zu arbeiten. Sie können da passiv sein. Wenn Sie einem Vortrag zuhören, der mit Lichtbildern gemacht wird, können Sie auch schlafen. In den Zwischenteilen können Sie Ihre Aufmerksamkeit passiv den Lichtbildern hingeben. Anders schon ist es mit einem solchen Vortrag, wie ich ihn mir erlaube. Da muß man in einer gewissen Weise selbst mitgehen, wenn er eine Bedeutung haben soll für den Menschen. Aber erst in der Literatur - meine «Geheimwissenschaft» hat für niemand einen Inhalt, der nicht darauf eingeht, sie selbst zu erarbeiten. Sie ist gewissermaßen nur eine Partitur, und man muß sich den Inhalt aus einer aktiven inneren Tätigkeit selbst erarbeiten; dann hat man ihn erst. Dadurch aber erwirbt man sich als Betrachter dessen, was der Geistesforscher erkundet hat, dann erwirbt man sich aktives Denken, jenes Denken, das untertaucht in die Wirklichkeit, das mit der Wirklichkeit sich verbindet. Man erwirbt sich ein Denken, das nicht mehr sagt: Wenn wir die Goldwährung einführen, werden wir Freihandel begünstigen. Dieses Denken, ganz außerhalb der Wirklichkeit stehend, ist unreal gegenüber der Wirklichkeit. Man schult sich an einem Denken, das mit der Wirklichkeit innig verbunden ist und das auch in praktischen Fällen sich orientieren kann an der Wirklichkeit. Das andere Denken ist ungeschult. Das geschulte Denken, das gewissermaßen als ein Nebenprodukt der geisteswissenschaftlichen Bestrebungen abfällt, bewirkt, daß man gegenüber den Forderungen, die heute das Leben stellt, ein praktischer Mensch wird.

Deshalb darf auch diese Geisteswissenschaft geltend machen, die scheinbaren Praktiker, die illusionären Praktiker, die - ja, wie soll ich sagen, großmäulig darf ich wohl nicht sagen -, die großmäulig alles gewußt haben, was da wird im Geschäfts- und anderen Leben, und die das Leben so zerschlagen haben, wie es zerschlagen worden ist, die werden ersetzt werden müssen durch diejenigen Menschen, welche etwas zu sagen wissen über den wirklichen Gang des Lebens, weil sie gelernt haben, etwas zu sagen über das Leben, insofern es das Verhältnis des Menschen zum Universum betrifft.