Breite Aufklärung über Dreigliederung notwendig

Quelle: GA 194, S. 234-236, 3. Ausgabe 1983, 15.02.1919, Dornach

Studieren wir dasjenige, was in der Welt nebeneinander steht, dann finden wir, wie in einer eigentümlichen Weise sich durcheinanderknäueln Wirtschaftsleben, politisches Rechtsleben, Geistesleben. Wollen wir nicht zugrunde gehen unter dem in die alleräußerste Degeneration gekommenen Geistes- und Rechtsleben, dann müssen wir uns hinwenden zu dem dreigliedrigen sozialen Organismus, der aus den selbständigen Wurzeln heraus baut das Wirtschaftsleben, das emporkommen will, das aber nicht emporkommen kann, wenn ihm kein Rechtsleben und kein Geistesleben aus der Freiheit entgegenkommen. Die Dinge haben in der ganzen Menschheitsevolution und im menschlichen Zusammenleben ihre tiefen Wurzeln.

Diese Wurzeln, sie müssen aufgesucht werden. Den Menschen muß heute verständlich gemacht werden, wie da unten, ich möchte sagen, ganz am Boden kriecht das Wirtschaftsleben, eingefädelt von anglo-amerikanischen Denkgewohnheiten, wie es sich nur hinaufranken wird können, wenn es im Zusammenklang mit der ganzen Welt arbeitet, mit dem, wofür andere auch befähigt, andere auch begabt sind. Sonst wird ihm das Erringen der Weltherrschaft zum Verhängnis werden.

Geht der Gang der Welt so fort, wie er gegangen ist mit dem sich degenerierenden, vom Oriente her kommenden Geistesleben, dann saust dieses Geistesleben, während es an einem Ende die erhabenste Wahrheit war, am andern Ende in die furchtbarste Lüge hinein. Nietzsche hat schildern müssen, wie schon die Griechen sich vor der Lebenslüge haben bewahren müssen durch ihre Kunst. Und im Grunde genommen ist die Kunst das Götterkind, das die Menschen bewahrt vor dem Versinken in die Lüge. Wenn diesem ersten Zweige der Kultur nur einseitig nachgegangen wird, so mündet diese Strömung hinein in die Lüge. In den letzten fünf bis sechs Jahren ist von allen weltgeschichtlichen Jahren am altermeisten innerhalb der zivilisierten Menschheit gelogen worden. Es ist fast überhaupt nicht die Wahrheit gesagt worden im öffentlichen Lebens, es war fast kein Wort, das durch die Welt gegangen ist, wahr. Während diese Strömung hineinmündet in die Lüge (siehe Zeichnung S. 229), mündet die mittlere Strömung hinein in die Selbstsucht. Und ein Wirtschaftsleben wie das anglo-amerikanische, das in die Weltherrschaft ausmünden sollte: wenn es sich nicht bequemt, sich durchdringen zu lassen von dem selbständigen Geistesleben und selbständigen Staatsleben, mündet ein in den dritten der Abgründe des Menschenlebens, in den dritten jener drei. Der erste Abgrund ist die Lüge, die Entartung der Menschheit durch Ahriman. Der zweite ist die Selbstsucht, die Entartung der Menschheit durch Luzifer. Der dritte ist auf physischem Gebiete Krankheit und Tod, auf Kulturgebieten: Kulturkrankheit, Kulturtod.

Die anglo-amerikanische Welt mag die Weltherrschaft erringen: ohne die Dreigliederung wird sie durch diese Weltherrschaft über die Welt den Kulturtod und die Kulturkrankheit ergießen, denn diese sind ebenso eine Gabe der Asuras, wie die Lüge eine Gabe des Ahriman, wie die Selbstsucht eine Gabe des Luzifer ist. So ist das dritte, sich würdig den anderen an die Seite Stellende, eine Gabe der asurischen Mächte!

Man muß aus diesen Dingen den Enthusiasmus nehmen, der einen befeuern soll, nun wirklich zu suchen die Wege, möglichst viele Menschen aufzuklären. Heute ist die Aufgabe des Einsichtigen: die Aufklärung der Menschheit. Wir müssen so viel als möglich dazu tun, gegen jene Torheit, die sich Weisheit dünkt und die da glaubt, daß sie es so herrlich weit gebracht hat, gegen jene Torheit dasjenige hinzustellen, was wir gewinnen können aus dem praktischen Aspekt der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft.

Habe ich noch mit diesen Worten ein wenig das Gefühl in Ihnen erwecken können, welch tiefer Ernst in diesen Dingen heute stecken muß, dann habe ich vielleicht etwas von dem erreicht, was ich gern gerade mit diesen Worten erreicht haben möchte. Wenn wir uns dann nach ein paar Wochen wieder sehen, wollen wir von ähnlichen Dingen weiter reden. Heute habe ich nur ein Gefühl in Ihnen hervorrufen wollen davon, daß es gegenwärtig wirklich die wichtigste soziale Arbeit ist, die Menschen im weitesten Umkreise aufzuklären.