Arbeit und Interaktion - Auf der Suche nach neuen Sozialformen

01.11.1970

Nachdem fast ein Jahrzehnt in der wissenschaftlichen und publizistischen Welt die menschliche Arbeit kein Thema war, ist seit einigen Jahren für dieses die menschliche Existenz so unmittelbar berührende soziale Phänomen ein neues Interesse erwacht. Immer noch - und erst recht unter futurologischen Aspekten - ringt man darum, was die menschliche Arbeit eigentlich ist, welchen Stellenwert sie im Leben des einzelnen hat, wie das Verhältnis von Fremdbestimmung und Selbstbestimmung dabei ist, und welche Rolle sie spielt für die Interaktion der Menschen, ihr Miteinander und ihre gegenseitige Anerkennung.

Es sind vor allem die Dialektiker der Neuen Linken, die sich für die Probleme der Arbeit interessieren, wozu das allmähliche Bekanntwerden der Frühschriften von Karl Marx beigetragen haben mag. Wenn wir uns in diesem Aufsatz damit beschäftigen, dann tun wir es weniger, um einen Beitrag zu dem Verhältnis von Arbeit und Interaktion zu geben, als um die Denkweisen einiger moderner Dialektiker im Vergleich zum dialektischen Idealismus Georg Wilhelm Friedrich Hegels einerseits und zur Denkweise Rudolf Steiners andererseits im Zusammenhang mit diesem Problemkreis herauszuarbeiten.

Gehen wir aus von dem Menschenbild des Marxschen Humanismus, wie es der jugoslawische Dialektiker Mihailo Markovic beschreibt [1]. Der Mensch ist ein praktisches Wesen, das in schöpferischer Aktivität seine Umwelt verändern möchte; der Mensch ist ein rationales Wesen, und er ist ein gesellschaftliches Wesen. Bei Erwähnung der Freiheit als Charakteristikum des Menschenwesens fällt Markovic plötzlich ins Imperfekt, da die Freiheit des Menschen in der Vergangenheit durch gesellschaftliche Zwänge eigentlich immer mehr oder weniger eingeschränkt gewesen sei. Es wird deutlich, daß Freiheit in der Hauptsache verstanden wird als Möglichkeit, in Übereinstimmung mit den wesentlichen menschlichen Bedürfnissen zwischen mehreren Alternativen zu wählen, um die unter Umständen gekämpft werden muß. Die Aktivität und Kreativität des Menschen entfaltet sich als „bewußte zielstrebige gesellschaftliche Tätigkeit“ („Praxis“) [2]. Markovics Begriff der Praxis umschließt auch die Begriffe der Arbeit und der Produktion. Ihre drei Grundkategorien sind: die Umwandlung der natürlichen Umwelt, die Schaffung verschiedener Formen und Institutionen des menschlichen Lebens und die Selbstschaffung des Menschen [3].

Man könnte versucht sein, in diesen drei Grundkategorien der Praxis die drei Hauptgebiete des sozialen Lebens zu erkennen, in denen sich die Interaktionen in einer Sozietät, einem durch eine bestimmte Gesellschaftsordnung strukturierten sozialen Gebilde, abspielen: das Wirtschaftsleben, der Bereich des öffentlichen Rechts und das Geistes- und Kulturleben durch das die individuellen Fähigkeiten des einzelnen und damit seine je eigene Persönlichkeitsprägung sich ausbilden.

[„Die Drei“, Jahrgang 40, Heft 11/1971, November 1971, S. 530]

Das ist jedoch nicht so. Markovic beruft sich in bezug auf die „Selbstschaffung des Menschen“ ausdrücklich auf Marx, der diese eindeutig in Beziehung zur Arbeit setzt. Der Arbeitende reproduziert sein Leben, indem er seine Lebens-Mittel produziert. Schon beim jungen Marx taucht diese Ansicht auf. Er meint, sie bei Hegel - wenn auch in abstrakter Form - entdeckt zu haben [4]. Da stellt sich die Frage, ob Hegel tatsächlich das Wesen der Arbeit als Entäußerung und als Aufhebung dieser Entäußerung faßt „und den gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift“. Der „gegenständliche Mensch“ ist bei Hegel das Selbstbewußtsein, das das reine Ich zum Gegenstand hat, also ebensowohl Ich wie Gegenstand, d. h. Geist ist.

„Das Bewußtsein hat erst in dem Selbstbewußtsein, als dem Begriff des Geistes, seinen Wendungspunkt, auf dem es aus dem farbigen Scheine des sinnlichen Diesseits und aus der leeren Nacht des übersinnlichen Jenseits in den geistigen Tag der Gegenwart einschreitet.“

Dieser Stelle in der „Phänomenologie des Geistes“ folgen die Ausführungen über Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Bewußtseins, Herrschaft und Knechtschaft, die häufig als die wesentliche Aussage Hegels über die Arbeit zitiert werden - etwa in dem Sinne, daß der Herr, der nicht nur Herr über die Dinge, sondern auch über das knechtische Bewußtsein ist, den Knecht als Mittel benutzt, um durch die Bearbeitung der Dinge sie für sich zum Genuß bereit zu machen. Der dialektische Umschlag erfolge dadurch, daß der Herr im Genuß passiv und abhängig wird, während der Knecht durch die Formung der Dinge auch sich selbst formt und erzieht und durch den Einfluß der Arbeit zur Selbständigkeit gelangt [5]. Diese Interpretation scheint uns zu eindimensional zu sein. Worum es Hegel geht, ist die Charakterisierung zweier verschiedenartiger Zustände des Selbstbewußtseins. Herrschaft und Knechtschaft sind für ihn Bilder, die seine Gedankenprozesse verdeutlichen sollen. Die betreffenden Bewußtseinsverfassungen können durchaus an Menschen wahrgenommen werden, die nicht in einem Herr-Knecht-Verhältnis zueinander stehen, ja sogar an einem und demselben Individuum. Hegels Auffassung der Arbeit scheint allerdings dabei durch. Sie ist für ihn „gehemmte“ Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, nämlich des Naturproduktes oder - so fügt er hinzu - sie bildet [6]. In dem formierenden Tun nun kommt der Arbeitende zur selbständigen Erfahrung seines Selbstbewußtseins.

Aber der dialektische Umschlag steht bei Hegel in einem anderen Ideen-Zusammenhang. Die Wahrheit des selbständigen Bewußtseins hat das dienende Bewußtsein zunächst an sich nur in ihrer Negativität - als nicht vorhanden - erlebt und damit zugleich die „Furcht des Todes“ empfunden, d. h. die Angst vor dem völligen Verlust des Selbstbewußtseins, die der Todesfurcht gleichkommt. Im Dienen vollzieht sich eine Auflösung des Selbstbewußtseins und damit die Aufhebung seiner Anhänglichkeit an natürliches Dasein in allen einzelnen Momenten. Es „arbeitet dasselbe hinweg“. Man darf vielleicht im Sinne Hegels sagen: Indem das dienende Bewußtsein seine Abhängigkeit von der Welt der Dinge in der Arbeit an ihnen aufhebt, kommt es durch die Arbeit zu sich selbst. Es scheint uns wesentlich zu sein, daß zum Verstehen des Hegelschen Arbeitsbegriff es nicht nur das Bilden und die Zucht

[„Die Drei“ Heft 10/1971, Oktober 1971, S. 531]

des Dienstes (Hemmung der Begierde) gehört, sondern auch die Furcht. Erst wenn das Selbstbewußtsein in seiner Substanz - und diese ist doch wohl das Selbst - ganz mit dem negativen Wesen durchsetzt worden ist, „wenn ihm alle Erfüllungen wankend geworden sind“, verfällt es nicht dem Eigensinn, einer Freiheit, „welche noch innerhalb der Knechtschaft stehen bleibt“ [7].

Hegel faßt nicht - wie Marx sagt - „die Arbeit auf abstrakte Weise als einen Akt der Selbsterzeugung des Menschen“ [8], sondern in Wahrheit handelt es sich bei ihm um rein ideelle Vorgänge, die sich im Bewußtsein der Arbeitenden vollziehen. In der Jenaer Zeit hat Hegel auch national-ökonomische Schriften, namentlich die von Adam Smith und David Ricardo, studiert. Er hat über die Bedeutung der menschlichen Arbeit nachgedacht. Einiges davon ist in die Jenenser „Philosophie des Geistes“ eingeflossen, und zwar - wie Jürgen Habermas [9] meint - in einer eigentümlichen später preisgegebenen Systematik. Mit den Kategorien Sprache, Werkzeug und Familie bezeichnet Hegel drei gleichwertige Muster dialektischer Beziehungen: „die symbolische Darstellung, der Arbeitsprozeß und die Interaktion auf der Grundlage der Reziprozität vermitteln Subjekt und Objekt je auf ihre Weise“. Habermas nimmt als Tendenz wahr, „daß erst die drei dialektischen Muster des existierenden Bewußtseins zusammengenommen Geist in seiner Struktur durchsichtig machen“.

Arbeit begreift Hegel schon in Jena als jene spezifische Weise der Triebbefriedigung, die den existierenden Geist von der Natur unterscheidet. Arbeit widersteht dem Zwang der unmittelbaren Begierde und schiebt die Triebbefriedigung hinaus. Die Erfahrungen des Arbeitenden mit seinem Objekt schlagen sich im Werkzeug nieder, das als „beständige Regel der Arbeit“ [10] sozusagen die existierende Mitte wird. Das arbeitende Subjekt macht sich in doppelter Hinsicht zum Ding. Es unterläßt die unmittelbare Triebbefriedigung und unterwirft sich in der Bearbeitung der Natur deren Gesetzen, aber das Resultat, das Werkzeug, erlaubt nun umgekehrt dem Menschen, die Natur sich zu unterwerfen. Damit tritt das Bewußtsein aus seiner Verdinglichung zu sich zurück. „Hier tritt der Trieb ganz aus der Arbeit zurück. Er läßt die Natur sich abreiben, sieht ruhig zu und regiert nur mit leichter Mühe das Ganze: List. Die breite Seite der Gewalt wird von der Spitze der List angegriffen [11].“ Das „listige Bewußtsein“ betrachtet Hegel keineswegs als unbedingten Gewinn [12].

Habermas nun fragt nach der Einheit eines Bildungsprozesses, der durch die Dialektik von Sprache, Arbeit und Interaktion hindurchgeht. Interaktion ist von sprachlicher Kommunikation abhängig. Instrumentales Handeln ist, sobald es als gesellschaftliche Arbeit unter die Kategorie des wirklichen Geistes tritt, in ein Netz von Interaktionen eingebettet. Wie aber steht es mit dem Verhältnis von Arbeit und Interaktion zueinander? Habermas findet bei Hegel einen Zusammenhang zwischen Arbeitsprozessen und Rechtsnormen, in denen ein auf gegenseitiger Anerkennung beruhender gesellschaftlicher Verkehr zuerst förmlich

[„Die Drei“ Heft 10/1971, Oktober 1971, S. 532]

festgelegt wird, jedoch diese Anerkennung bezieht sich nicht unmittelbar auf die Identität des anderen, sondern auf die Sachen, die seiner Verfügungsgewalt unterstehen. „Nicht nur meine Habe und mein Eigentum sind hier gesetzt“, heißt es bei Hegel [13], „sondern meine Person oder dies insofern, als in meinem Dasein mein Ganzes liegt: Ehre und Leben“.

Ehre und Leben - meint Habermas - sind aber einzig anerkannt in der Unantastbarkeit des Eigentums. So geht für ihn der Besitz als Substrat der rechtlichen Anerkennung aus den Arbeitsprozessen hervor. „Im anerkannten Produkt der Arbeit sind mithin instrumentales Handeln und Interaktion verknüpft [14].“

Daß Hegel diesen Ansatz nicht weiter verfolgt hat, mag daran liegen, daß das Interesse an der industriellen Arbeit sich wieder verlor, oder auch daran, daß diese Verknüpfung von Arbeit und Interaktion ihm später fragwürdig wurde. Im Keim sind in seinem Arbeitsbegriff drei Elemente enthalten, die zum Verständnis der Arbeit im Industriezeitalter wesentlich sind:

Durch die Arbeit bildet der Mensch die Natur um. Das Tun, das im Formen und Gestalten der Natur besteht, ist das erste Moment (Bilden). Es ist eine Entäußerung des Menschen; etwas von ihm geht in das Ding ein. Das zweite ist die Zurückhaltung seiner Begierde, seiner eigenen Bedürfnisse, während er für die anderen Menschen arbeitet (Dienen). Mit dem Verständnis für deren Bedürfnisse ist sein Mitempfinden, sein Fühlen angesprochen. Indem er ganz in der Arbeit für die anderen aufgeht, droht ihm der Verlust seines Selbstbewußtseins (Todesfurcht). Der dialektische Umschlag, der bei Hegel nun kommt, folgt aus seiner Denkweise, aber nicht unbedingt aus dem Leben; denn ob der Mensch, der sein Selbstbewußtsein zweifach (in die Dinge und in die anderen Menschen) entäußert hat und damit vor dem Nichts, der reinen Negation steht, es auf einer Stufe höherer Selbständigkeit wiederfindet oder - anders ausgedrückt - ob er in der Arbeit frei werden kann, hängt von anderem ab als von der Logik des Gedankenprozesses. Es setzt voraus, daß der Arbeitende (der Knecht) über Denkkräfte verfügt. Es setzt aber noch etwas anderes voraus, nämlich daß die anderen (der Herr) nicht in ihrer Passivität verharren, sondern sich der Gegenseitigkeit ihrer Situation auf Grund der Arbeitsteilung bewußt werden und die gegenseitige Anerkennung vor Fertigstellung der Produkte und deren Eintritt in die Tauschsphäre rechtlich institutionalisieren. Nur dadurch kann verhindert werden, daß die Furcht vor dem Verlust des Selbstbewußtseins, die nach Hegel zu Selbständigkeit und Freiheit führt, in Furcht vor dem Verlust der leiblichen Existenz umschlägt.

Bei Hegel steht der Umgang mit Gedanken so im Vordergrund, daß nicht nur die anderen Tätigkeiten des Subjekts Mensch, das Wollen und Fühlen, stark zurücktreten, sondern daß er das Denken selbst vergißt und vor allem die denkende Instanz im Menschen [15]. Diese, das Denken, Fühlen und Wollen in sinnvolle Relation bringende Ich, ist für Hegel der gedankliche Gegenstand des Selbstbewußtseins und damit „Begriff des Geistes“. Damit ist keine übersinnliche Realität gemeint. Der „geistige Tag der Gegenwart“ wird gefunden durch die Entdeckung der im „farbigen Schein des sinnlichen Diesseits“ verborgenen Ideen. Das Ich als gedoppelter Gedanke (Gegenstand und Selbstbewußtsein) ist jedoch im farbigen Schein des sinnlichen Diesseits nirgends zu finden. Es bleibt darum „leere Nacht“.

Hegel ist davon überzeugt: „Das Geistige allein ist das Wirkliche“. Aber es gelingt ihm

[„Die Drei“ Heft 10/1971, Oktober 1971, S. 533]

nicht, es in seinem Gedankensystem tatsächlich zu erfassen. Das sich durch Arbeit hervorbringende Selbstbewußtsein, überhaupt der Mensch als Idee, als sich selbst wissender Geist, mußte dem Denker wie Karl Marx als reine Abstraktion erscheinen. Für ihn ist der Mensch ein „leibliches, naturkräftiges, lebendiges, wirkliches, sinnliches, gegenständliches Wesen“, und das heißt, „daß er wirkliche, sinnliche Gegenstände zum Gegenstand seines Wesens, seiner Lebensäußerung hat oder daß er nur an wirklichen sinnlichen Gegenständen sein Leben äußern kann“ [16]. Marx kann die Selbsterzeugung des Menschen durch Arbeit nur physisch-existentiell verstehen. Die Vermittlung zwischen Mensch und Natur leistet die Arbeit. Sie ist ihm „ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert“, so daß sein Ergebnis „ein durch Formveränderung menschlichen Bedürfnissen angeeigneter Naturstoff“ ist [17].

So wäre die Arbeit also eine rein physiologische Funktion des Menschen, gewissermaßen die andere Seite des Konsumierens, und der Mensch selbst ein Naturwesen, ein „animal laborans“, Naturgesetzen unterworfen.

Für den jungen Marx war das praktische Erzeugen einer gegenständlichen Welt, die Bearbeitung der unorganischen Natur noch „die Bewährung des Menschen als eines bewußten Gattungswesens“ [18]. Darin schwingt noch die Bewunderung für Hegel mit, aber wenn er von dem Menschen als Gattungswesen spricht, entfernt er sich sofort von Hegel, für den jeder Träger eines Selbstbewußtseins eine Gattung für sich ist. Marx will damit zum Ausdruck bringen, daß der Mensch ein gesellschaftliches Wesen ist. Alle menschliche Tätigkeit ist für ihn gesellschaftliche Tätigkeit, und wenn er von Selbstentfremdung spricht, meint er Entfremdung von seinem Gattungswesen.

Konnte Hegel den geistigen Wesenskern des Menschen, sein Ich, nur als Gedankenabbild fassen, so ist für Marx die Individualität als Geistwesen gar nicht existent. Wie das menschliche Ichwesen in der Arbeit wirksam wird, ist daher für ihn gar keine Frage. Der von Marx verwandte Begriff der Arbeitskraft, verstanden als „Kraftüberschuß des menschlichen Körpers“ [19], ist ein Teil der Lebenskraft, die sich durch die Arbeit reproduziert. Aber indem der Mensch seine Arbeitskraft entäußert, wird das Produkt, in das sie hineingeht, für ihn ein fremder Gegenstand. Im Akt der Produktion, in der produzierenden Tätigkeit tritt als Resultat „Entfremdung“ auf. [20] Die Arbeitskraft wird selbst zur Ware. Die vom Arbeiter geschaffenen Erzeugnisse gehen in den Besitz anderer über und werden zu einer Macht, die sich gegen ihn richtet. Die Arbeit hört auf, Stoffwechsel des Menschen mit der Natur zu sein. Hannah Ahrendt [19] hat darauf hingewiesen, daß die Marxsche Auffassung der menschlichen Arbeit nicht eindeutig ist. Auf der einen Seite ist sie „ewige Naturnotwendigkeit“, eine „von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung“, die Tätigkeit, die den Menschen vom Tier unterscheidet; auf der anderen Seite muß der Mensch von der Arbeit befreit werden; denn „das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten,

[„Die Drei“ Heft 10/1971, Oktober 1971, S. 534]

das durch Not und äußere Zweckmäßigkeiten bestimmt ist, aufhört“ [21]. Von daher setzt Marx als Ziel für eine künftige Gesellschaft, die Arbeit aufzuheben und das Privateigentum an den Produktionsmitteln, das die Entfremdung aufs äußerste treibt, abzuschaffen.

Habermas [22] bemängelt an Marx, daß er - ausgehend von der Arbeit als Synthesis zwischen Mensch und Natur - die Selbsterzeugung der Gattung als Produktionsprozeß begreift, daneben aber stets mit einer gesellschaftlichen Praxis rechnet, die Arbeit und Interaktion umfaßt. Wir können dem hier nicht im einzelnen nachgehen. Interessant an der Habermasschen Kritik ist vor allem, daß Interaktion nur in Verbindung mit der Ablösung gewalthabender Institutionen durch eine Organisation des gesellschaftlichen Verkehrs auf der Grundlage herrschaftsfreier Kommunikation gesehen werden kann. „Das geschieht nicht unmittelbar durch produktive Tätigkeit, sondern durch die revolutionäre Tätigkeit kämpfender Klassen (einschließlich der kritischen Tätigkeit reflektierender Wissenschaften).“

Hier tritt Interaktion als politisches Handeln auf, während Habermas in dem Aufsatz „Arbeit und Interaktion“ im Anschluß an Hegel die Interaktion in der Normierung des Verhältnisses gegenseitiger Anerkennung über die Institutionalisierung der im Austausch von Arbeitsprodukten gesetzten Gegenseitigkeit, auf wirtschaftlichem Felde also, mit dem Arbeitsprozeß verknüpft sah. Ein rechtlich anerkanntes Selbstbewußtsein ist für Habermas das Resultat der Befreiung vom Diktat der Naturgewalt durch Arbeit und des Kampfes um Anerkennung, d. h. beider Prozesse.

Die Einseitigkeit der Auffassung des Menschen und seiner Arbeit bei Hegel trieb bei Karl Marx und seinen Nachfolgern die entgegengesetzte Einseitigkeit hervor. Der wirkliche Mensch ist nicht ein Denkwesen wie bei Hegel, auch nicht ein Willenswesen wie bei Marx, sondern beides, und außerdem liegt zwischen Denken und Wollen die Sphäre des Fühlens, durch die die beiden anderen im Gleichgewicht gehalten werden können. Die Arbeit ist nicht nur eine Tätigkeit, durch die der Arbeitende seine individuellen Fähigkeiten entfaltet und sein Selbstbewußtsein erweitert. Sie ist auch nicht bloß ein Stoffwechselprozeß mit der Natur, durch den der Mensch die Natur in den Dienst seiner existentiellen Bedürfnisse stellt. Sondern beides. Und außerdem ist sie Gestaltung der Natur um ihrer selbst willen, Aufgabe an der Erde, Kommunikation mit dem Kosmos, in die die gesamte mitmenschliche Welt eingeschlossen ist.

Verwirklicht im ersten der Mensch vor allem sich selbst als geistige Persönlichkeit, schafft er im zweiten die Mittel seiner irdischen Existenz. Das dritte aber ist das eigentliche Feld der Interaktion, des Verkehrs zwischen dem Menschen und seiner Umwelt, der gegenseitigen Anerkennung als Menschen und allen Formen ihrer Sanktionierung und Institutionalisierung. Als sich selbst in der Arbeit und durch sie entwickelndes Wesen braucht der Mensch einen hohen Grad individueller Freiheit. Interaktion ist dabei sekundär. In der Beschaffung seiner Existenzmittel durch Bearbeitung oder Überlistung (Hegel) der Natur entsteht eine dreifache Abhängigkeit: erstens von den anderen Menschen - sie verlangt ein weites Netz von kommunikativen Handlungsmustern, zweitens von der Natur und drittens von der Apparatur, deren sich der Mensch zur überwältigung der Natur bedient. Möglicherweise gelingt es, mit Hilfe der technischen Apparatur die unmittelbare menschliche Arbeit, die schwere Mühsal und Plage, die sie bis vor kurzem in der Hauptsache war, auf ein Minimum

[„Die Drei“ Heft 10/1971, Oktober 1971, S. 535]

zu reduzieren. Ohne die Gefahren einer wachsenden Abhängigkeit des Menschen von der Technostruktur zu überschätzen, kann man sagen, daß das gegenseitige Verständnis unter den Menschen mindestens in demselben Maße wachsen und neue Formen für die Institutionalisierung der gegenseitigem Anerkennung hervorbringen müßte. In solchen neuen Formen interagieren die Beteiligten jedoch nicht als Arbeitende, sondern als Wirtschafter, als Produzenten und Konsumenten und als Verteiler.

Die Rechtsbeziehungen der Arbeitenden auf der Basis gegenseitiger menschlicher Anerkennung zu institutionalisieren, ist ein Ziel, das trotz unzähliger Normen des Arbeitsrechtes immer noch nicht erreicht ist.

Der Mensch ist ein kompliziertes Wesen. Seine mehrfach wiederkehrende und ineinandergreifende Dreigliedrigkeit, auf die wir wiederholt gestoßen sind, ist ein sinnlich-übersinnliches Gestaltungsprinzip des organischen Lebens, das im sozio-kulturellen Bereich seine Entsprechungen haben muß. Diesen wichtigen Schlüssel, der Steiner [23] zu verdanken ist, konnte weder die idealistische noch die praktische (materialistische) Dialektik auffinden. Der Autorität ihrer Denkformen mit ihrer fast zwangsläufigen Konsequenz weiß das Leben zu entrinnen. Das Prinzip der Dreigliederung hingegen ist kein Denksystem, es ist am Leben abgelesen, am mitmenschlichen Leben in seinen physisch-psychischen Erscheinungsformen und deren geistigen Hintergründen.

Mit dem Schlüssel der Dreigliederung klärt sich auch die Frage der Verknüpfung von Arbeit und Interaktion. Arbeit ist immer ein Stück Kreativität, aber nicht ausschließlich; Güterproduktion kann Ergebnis von Arbeit sein, aber nicht ausschließlich; das Wesen der modernen Arbeit erscheint erst in der Interaktion. Arbeit ist Kommunikation - mit dem Arbeitsgegenstand, den Arbeitsmitteln, mit den anderen Arbeitenden, mit der ganzen Sozietät. Sozialformen, in denen Gegenseitigkeit und unbedingte Gleichberechtigung praktiziert werden können, wird die Gesellschaft finden müssen.

Anmerkungen

[1] Dialektik der Praxis, Frankfurt 1969, S. 74.

[2] ebenda, S. 26.

[3] ebenda, S. 28/29.

[4] „Das Große an der Hegelschen Phänomenologie und ihrem Endresultate - der Dialektik, der Negativität als dem hervorragenden und erzeugenden Prinzip ist also ... , daß Hegel die Selbsterzeugung als Menschen als einen Prozeß faßt, die Vergegenständlichung als Entgegenständlichung, als Entäußerung und als Aufhebung dieser Entäußerung, daß er also das Wesen der Arbeit faßt und den gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen, als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift.“ (Karl Marx, Die Frühschriften, herausgegeben von Siegfried Landshut, Stuttgart 1953, S. 269.)

[5] So etwa Erich Thier, Das Menschenbild des jungen Marx, Göttingen 1961.

[6] Phänomenologie des Geistes, S. 149.

[7] ebenda, S. 150.

[8] Nationalökonomie und Philosophie, in: Die Frühschriften, S. 269.

[9] Jürgen Habermas, Arbeit und Interaktion, in: Natur und Geschichte, Stuttgart 1967, S. 132 ff.

[10] Hegel, Jenenser Realphilosophie (Ausgabe Lasson) I, S. 221.

[11] ebenda, S. 199.

[12] „Das Werkzeug hält als solches vom Menschen sein materielles Vernichten ab; aber es bleibt darin ... seine Tätigkeit ... In der Maschine hebt der Mensch selbst diese seine formale Tätigkeit auf und läßt sie ganz für ihn arbeiten. Aber jener Betrug, den er gegen die Natur ausübt, ... rächt sich gegen ihn selbst; was er abgewinnt, je mehr er sie unterjocht, desto niedriger wird er selbst. Indem er die Natur durch mancherlei Maschinen bearbeiten läßt, so hebt er die Notwendigkeit seines Arbeitens nicht auf, sondern schiebt es nur hinaus, entfernt es von der Natur, und richtet sich nicht lebendig auf sie als eine lebendige; sondern es entflieht diese negative Lebendigkeit, und das Arbeiten, das ihm übrigbleibt, wird selbst maschinenmäßiger.“ (Realphilosophie, I, S. 237.)

[13] Realphilosophie, II, S. 221.

[14] Habermas, a. a. 0. S. 146.

[15] Siehe hierzu auch „Hegel als Element der Zukunft“ von R. Pflaumer in „Die Drei“, 8/1970.

[16] Nationalökonomie und Philosophie

[17] Das Kapital, Bd. I, Berlin 1947, S. 185 ff. - zitiert nach J. Fetscher, Der Marxismus, seine Geschichte in Dokumenten, Bd. I., München 1962, S. 114. Oder auch. „Arbeit ist die allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbildung des menschlichen Lebens“, infolgedessen sie „allen seinen Gesellschaftformen gleich gemeinsam ist.“ (Das Kapital, a. a. 0. S. 198.)

[18] „Frühschriften“, S. 88.

[19] So Hannah Ahrendt, Vita activa, Stuttgart 1960, S. 81.

[20] Das Kapital, Bd. I, S. 198.

[21] Das Kapital, Bd. III, S. 873. Das stimmt auch damit überein, daß in einer sozialistischen Gesellschaft möglich sein müßte, „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe; ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“. (Deutsche Ideologie, S. 22.)

[22] Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1969, S. 71.

[23] Rudolf Steiner, Die Erziehungsfrage als soziale Frage, Dornach 1960.

[„Die Drei“ Heft 10/1971, Oktober 1971, S. 536]