Die soziale Dreigliederung — verschieden gedacht

01.06.1976

Übersicht über die Kontroverse
Vom Grenzverlauf zwischen den Gliedern des sozialen Organismus
zwischen Heinz Kloss, Wilhelm Schmundt, Christof Lindenau und Hartwig Wilken

 

Quelle
Zeitschrift „Beiträge zur Dreigliederung des sozialen Organismus“
Jahrgang 18, Heft 28, Juni 1976, S. 55-60
Bibliographische Notiz

In seinen Ausführungen über die soziale Frage setzt Rudolf Steiner immer wieder die Unterscheidung dreier Bereiche voraus, für die er bekanntlich die Wörter „Wirtschaftsleben“, „Rechtsleben“ und „Geistesleben“ gebraucht. Was aber mit diesen Wörtern gemeint ist, darüber gehen die Meinungen oftmals weit auseinander.

Es ist das unzweifelhafte Verdienst von Heinz Kloss, in seinem Aufsatz „Vom Grenzverlauf zwischen den Gliedern des sozialen Organismus“ (vgl. Heft 27 dieser „Beiträge“, Oktober 1975) dieses Auseinanderklaffen zum Problem zu machen. Denn es geht tatsächlich nicht an, daß — mit einem Ausdruck von Hartwig Wilken — „jeder den Zipfel der umfassenden Dreigliederungswahrheit, den er bei seinen Bemühungen gerade erwischt hat, für die ganze Wahrheit“ ausgibt. Aber es geht auch nicht an, nun einfach zu postulieren, daß „wir“ dieses Stadium „eigentlich heute überwunden haben“, wie es Hartwig Wilken unmittelbar nach seiner so richtigen Feststellung tut, da dieses Überwinden nur kraft einer immer wieder vollzogenen Erkenntnisanstrengung geschieht und so stets einem ein für alle Mal erworbenen „Ist“-(oder „Haben“-)Zustand sehr unähnlich bleiben wird.

Oder liegt die Sache doch noch anders und die Gemeinsamkeit überwiegt das Trennende? Jedem, der sich auch nur kurze Zeit in seinem Leben mit der sozialen Dreigliederung beschäftigt hat, bleibt vertraut:
— daß Rudolf Steiner mit „Geistesleben“ jedenfalls denjenigen Bereich des sozialen Lebens bezeichnet, der heute auf die Dauer sich sozial nur dann fruchtbar auswirken kann, wenn er frei von äußerer Einmischung von den unmittelbar in ihm tätigen Menschen organisiert wird;
— daß mit „Rechtsleben“ derjenige Bereich gemeint ist, der auf die Dauer nur dann lebensfähig bleibt, wenn er von allen Partnern in gleicher Weise mitorganisiert wird;
— und daß mit „Wirtschaftsleben“ auf denjenigen Bereich verwiesen ist, durch den lebensförderliche Zustände allein dann entstehen, wenn er in brüderlicher Weise den Umkreis in seine Organisation miteinbezieht.

[Beiträge, Heft 28, Seite 55]

 

Mag im einzelnen immer noch erst zu klären sein, wieweit eine soziale Tatsache oder ein sozialer Vorgang mit den genannten drei Lebensbereichen des sozialen Organismus verknüpft ist; mag dies sogar aus den Darstellungen Rudolf Steiners nicht immer mit der wünschenswerten Eindeutigkeit hervorgehen; daß durch alles, was Rudolf Steiner über die soziale Frage gesagt oder geschrieben hat, jener Grundgedanke vernehmlich hindurchklingt, daran wird kaum gezweifelt werden. Wie aber arbeiten wir mit ihm?

Machen wir uns an das Studium des Aufsatzes von Heinz Kloss. Da wird zunächst in Anlehnung an den gängigen Gebrauch der von Rudolf Steiner benutzten Ausdrücke „Wirtschaftsleben“, „Rechtsleben“ und „Geistesleben“ versucht, die drei zur Rede stehenden Bereiche der sozialen Welt großräumig voneinander abzugrenzen. So wird beispielsweise das Geistesleben als ein aus dem Erziehungs- und Bildungswesen erquellendes Kulturleben begriffen, das in seinem Kernbereich Wissenschaft, Kunst und Religion umfaßt, aber sich um vieles erweitert, was etwa mit dem modernen Medienwesen (Verlagsanstalten, Zeitschriften-Redaktionen, Rundfunk, Fernsehen, Museen, Archive usw.) zusammenhängt. Und dementsprechend wird die Möglichkeit mitverstanden, daß sich Rechts- und Wirtschaftsleben ebenso als zwei in sich zusammenhängende soziale Gebiete gegeneinander wie gegenüber dem genauer charakterisierten Geistesleben herausgrenzen lassen.

Auf die Tragfähigkeit dieser Vorstellung vertrauend, setzt Kloss dann zu einem weiteren Schritt an. Er weist zu Recht darauf hin, daß in jedem der drei großen Gebiete Teilbereiche sich finden, die ihrem Wesen nach in enger Beziehung zu den je anderen beiden Gebiete stehen: „In allen drei Gliedern greift kulturelle, verwaltende und wirtschaftliche Tätigkeit ineinander, nur dominiert jeweils eine von den dreien.“ „Im Geistesleben wird auch gewirtschaftet und verwaltet, nur sind diese Tätigkeiten den kulturell schöpferischen hier nicht nebengeordnet, sondern dienend ein- und untergeordnet,“ usw. Dementsprechend schildert Kloss diese Teilbereiche nun als „Enklaven“ oder „Zellen“ in jeweils andersartigen Gebieten des sozialen Lebens. Eine Enklave des Geisteslebens im Staatsleben sei zum Beispiel eine Verwaltungsakademie für Staatsbeamte, im Wirtschaftsleben etwa ein von Firmen der Petrochemie eingerichtetes Forschungsinstitut für diesen Industriezweig, usw. In ähnlicher Weise, nur noch enger in das Gebiet, in dem es eine Sonderzelle darstellt, seien etwa die Lehrlingskurse einer Firma (Geistesleben im Wirtschaftsleben) oder das satzungsgemäß für inneruniversitäre Zwiste zuständige Schiedsgericht im Rahmen einer Hochschule (Rechtsleben im Geistesleben) zu denken. Auf diese Weise scheint sich ein Bild des sozialen Organismus zu ergeben, in dem jedes der drei Glieder etwas von den anderen in sich enthält, wie im natürlichen Organismus der Nerv auch Stoffwechsel und Zirkulation in sich enthält, in den Zirkulationsorganen auch Nerven- und Stoffwechselprozesse wirken, usw.

So befriedigend nun eine Differenzierung gegenüber der Einteilung in drei großräumige, in sich zusammenhängende Sozialgebiete erscheint, weil sie dem Wahrnehmungsbilde, das wir von der heutigen sozialen Welt haben, näher rückt, so muß doch gefragt werden, ob Heinz Kloss und alle, die so denken wie er, sich denn wirklich zum Problem gemacht haben, welche soziale Lebensgebiete es sind, die sich — verkürzt ausgedrückt — durch das brüderliche, freiheitliche und das Gleichheitselement fruchtbar fortentwickeln lassen? Ob sie nicht gerade die eigentliche soziale Dreigliederung Rudolf Steiners zusammen mit jenem oben angeführten zentralen Gedankengang — obwohl er ihnen theoretisch selbstverständlich vertraut ist — in ihrer praktischen Erkenntnisarbeit „vergessen“ haben? Ob sie sich einfach damit begnügt haben,

[Beiträge, Heft 28, Seite 56]

 

eine Zusammenstellung am Leitfaden des heute gewöhnlichen Wortgebrauches zu machen, ohne zu prüfen, ob der geschichtlich gewordene Wortgebrauch auch leisten kann, was sie von ihm erwarten : eine Erfassung der verschiedenen sozialen Lebensbereiche im Sinne einer erst in diesem Jahrhundert entwickelten Geisteswissenschaft.

Wo überall finden wir beispielsweise den Bereich, der brüderlich den Umkreis miteinbeziehend lebensfähige und menschenwürdige Zustände herbeiführt? Wir finden ihn durchaus nicht nur etwa in einem Fabrikbetrieb, sofern sich dieser in seiner Produktion nach den Käufern der dort hergestellten Waren richtet, sondern ebenso auch in z.B. einem Verlag, der sich mit der Auflagenzahl eines Buches nach der Größe der tatsächlichen Leserschaft richtet, oder im Lehrer, der seine Anstrengungen an dem ausrichtet, wessen seine Schüler bedürfen, usw. Kurz: alles was den leiblichen, seelischen oder geistigen Bedarf anderer Menschen befriedigen will und sich daher nach diesem und nicht nach sich selber richten muß, gehört in diesen Bereich des sozialen Lebens. Rudolf Steiner nennt ihn „Wirtschaftsleben“. Kloss und alle, die ähnlich denken wie er, werden das erste Beispiel ebenfalls im Wirtschaftsleben suchen, das zweite und dritte Beispiel aber einseitig ins Geistesleben, das von ihnen als Kulturleben gedacht wird, versetzen. Sicher, vom gewöhnlichen Sprachgebrauch her ist dagegen nichts einzuwenden; nur zeigt sich dieser Sprachgebrauch eben als untauglich, den eigentlichen Dreigliederungsimpuls ohne weiteres wiederzugeben. Es sei denn, man glaube wirklich, daß ein Verlag die Auflagenhöhe eines Buches nicht nach der Größe seiner Leserschaft richten sollte, sondern daß es in eine gedeihliche Zukunft führen würde, wenn der Direktor und seine Mitarbeiter die Auflagenhöhe etwa nach den eigenen Fähigkeiten, der Höhe des zur Verfügung stehenden Kapitals, der Größe der vorhandenen Lagerräume usw. bestimmen würde. Denn das ist es, was aus der einseitigen Zuordnung des Verlagswesens zum Geistesleben, wie wir sie bei Kloss finden, nach der Dreigliederung Rudolf Steiners folgen würde. Ebenso würde aus der einseitigen Zuordnung der Lehrtätigkeit zum Geistesleben folgen, daß der Lehrer in der Schule nicht unterrichten würde, was seine Schüler brauchen, sondern beispielsweise was ihn gerade selber interessiert, oder was er besonders gut kann, weil es sein Spezialgebiet ist, usw. Der gewöhnliche Sprachgebrauch, das gilt es sich nüchtern einzugestehen, ist denkbar unzuverlässig, wenn es gilt, die gesuchten „Grenzen“ zwischen den drei Gliedern des sozialen Organismus zu finden.

Entsprechendes ist für die anderen beiden Lebensbereiche der sozialen Dreigliederung der Fall. Betrachten wir wenigstens noch, was das Geistesleben angeht. Auch wenn man ihn auf das Kulturleben einschränkt, wird dieser Begriff im Sinne der Dreigliederung auf etwas angewendet, was sich zu sozialer Fruchtbarkeit auf die Dauer nur entwickeln kann, wenn es selbstverantwortlich von den in ihm unmittelbar zusammenarbeitenden Menschen organisiert und gestaltet wird. Blicken wir zunächst auf die Erziehung: Daß das Kind, um hier bei den primitivsten Anforderungen an die Grundschule zu bleiben, schreiben, lesen, rechnen, usw. lernen muß, hängt selbstverständlich mit den Bedürfnissen des sozialen Umkreises und nicht mit dem Lehrerkollegium der Schule zusammen, dem die Eltern ihre Kinder anvertrauen ; wie dies aber geschieht, wann, in welcher Reihenfolge usw., darüber müssen hingegen die Lehrer frei entscheiden können, wenn das sozial günstigste Ergebnis dabei erzielt werden soll. Das aber läßt sich für alles Geistesleben sagen. Es ist beispielsweise durchaus richtig, ein firmeneigenes Forschungslabor als Einrichtung des Geisteslebens zu betrachten; nur muß gerade seine Abhängigkeit von der entsprechenden Firma als das sozial Ungesunde daran angesprochen werden, weil z.B. die Ergebnisse dieses Labors, etwa in bezug auf den notwendigen Umweltschutz, im allgemeinen wohl kaum ohne bedenkliche Verharmlosung den Weg in die Öffentlichkeit finden werden.

[Beiträge, Heft 28, Seite 57]

 

Ebenso gehört eine Verwaltungsakademie für Staatsbeamte ganz sicher zum Geistesleben; ihre dem heutigen Denken selbstverständliche Abhängigkeit vom Staatsleben jedoch, etwa durch das von ihm ausgehende Berechtigungswesen, wirkt sich genau so lebenshindernd aus wie die Abhängigkeit des Bildungswesens vom Staat auf allen anderen Gebieten. Aus dem durch soziale Dreigliederung erfließenden Impuls folgt also gerade das Herauslösen und Verselbständigen dieser heute von den anderen Lebensbereichen überfremdeten „Enklaven“ und „Zellen“. Das aber heißt für den Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung: Was Kloss als Grenzverlauf zwischen den drei sozialen Bereichen feststellt, konstituiert seinem Wesen nach nicht die Dreigliederung des sozialen Organismus, sondern die pathologischen Zustände, die Krankheiten desselben. Nun ist zwar gegen die Ausarbeitung einer solchen „Pathologie“ des sozialen Organismus nichts einzuwenden; aber dann sollte deutlich werden, daß es sich dabei um die Darstellung von Krankhaftem handelt. Kloss jedoch scheint gar nicht zu bemerken, daß er in Wirklichkeit nicht die soziale Dreigliederung charakterisiert, sondern jene Krankheitszustände des sozialen Organismus, die gerade erst mit Hilfe der sozialen Dreigliederung erkannt und geheilt werden sollen.

Im zweiten Teil seiner Darstellung geht Heinz Kloss auf die sozialwissenschaftlichen Beiträge von Wilhelm Schmundt ein. Auch Schmundt — so darf zusammenfassend gesagt werden — ist sich klar darüber, daß man bei einer lediglich großräumigen Einteilung der sozialen Phänomene in Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben nicht stehen bleiben darf, wenn man die soziale Wirklichkeit erkennen will; aber er schlägt einen anderen Weg als Kloss ein, um dieser Anforderung nachzukommen. Er beruhigt sich nicht dabei, den im sozialen Organismus lebenden Menschen und seine Tätigkeit in der Hauptsache auf einen der drei sozialen Lebensbereiche festzulegen, sondern beobachtet, wie sie stets in allen dreien sich entfalten.
So steht bei ihm z.B. der Lehrer nicht nur im Geistesleben, sondern beispielsweise durch seine Arbeit an den Schülern auch im Wirtschaftsleben; der in der materiellen Produktion Arbeitende aber, soweit er an den dort ebenfalls notwendigen Beratungen teilnimmt, auch im Geistesleben, usw.. Kloss versteht nun diese Zusammenhänge als eine noch weitergehende Verschränkung der oben gekennzeichneten drei großräumigen Sozialgebiete, indem er die Tätigkeit des Lehrers, soweit sie Schmundt eine wirtschaftliche nennt, oder die des Wirtschaftlers, insofern sie Schmundt als eine geistige charakterisiert, allein als „Entsprechungen“ zum Wirtschaftsleben bzw. Geistesleben gesehen wissen will. Und er bezeichnet es als das Verdienst Schmundts, uns für diese „Entsprechungen“ das Auge geöffnet zu haben. Dazu ist zweierlei zu sagen. Einerseits, daß wir tatsächlich Wilhelm Schmundt dankbar sein müssen, daß er uns diese Zusammenhänge wiederum in Erinnerung bringt, nachdem Rudolf Steiner sie bereits in den „Kernpunkten“ — das Kapitel „Kapitalismus und soziale Ideen“ wäre ohne sie nicht denkbar — ausführlich behandelt hat. Andererseits aber wäre hervorzuheben, daß Rudolf Steiner dabei nicht wie Kloss von „Entsprechungen“ redet, sondern das dem Wirtschaftsleben bzw. Geistesleben Entsprechende schlicht zu ihm selbst rechnet, welcher Zuordnung wir dann bei Schmundt wieder begegnen.
Auf diesem Wege entsteht wiederum das Bild der drei ineinandergreifenden sozialen Lebensbereiche, nach welchem auch Kloss sucht; nur daß nun das Feld dieses Ineinandergreifens nicht nach demjenigen sozialen Bereich bezeichnet wird, der dabei jeweils die anderen beiden überwiegt, sondern auf eine solche Bezeichnung wird bei Schmundt

[Beiträge, Heft 28, Seite 58]

 

zugunsten einer Charakteristik dessen, was ineinandergreift, verzichtet und, wo nötig, als „funktionelles“ Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben auch terminologisch von der oben charakterisierten „großräumigen“ (bzw. institutionell orientierten) Bezeichnungsweise hinreichend unterschieden. Nicht ein quantitatives, sondern ein qualitatives Verhältnis, d.h. die Wesensqualität des Ineinandergreifenden steht dadurch im Mittelpunkt des Interesses. Die redaktionelle Nachbemerkung zu dem Aufsatz von Heinz Kloss (bzw. die Vorbemerkung zu der nachfolgenden Stellungnahme von Wilhelm Schmundt) vergleicht die „traditionelle“ Auffassung der sozialen Dreigliederung, die Kloss in seinem Artikel der von Schmundt vertretenen Auffassung gegenüberstellt, mit einer Auffassung des dreigegliederten Menschenleibes, die mehr den quasi räumlichen Gesichtspunkt in den Vordergrund stellt und deshalb — vereinfacht — von einer Gliederung in Kopf, Brust und Gliedmaßen spricht; und sie vergleicht die von Schmundt vorgetragene Auffassung mit der Gliederung in Nervensinnessystem, rhythmisches System und Stoffwechselgliedmaßensystem. Da gerade diese Systeme es sind, deren je verschiedenes Zusammenwirken die Kopf-, Brust- und Gliedmaßenorganisation ausmachen, müßte sich auch in bezug auf die beiden Auffassungen des sozialen Organismus der Weg von der einen zur anderen auffinden lassen, so daß für die denkende Betrachtung kein Widerspruch entsteht.

Indessen ist soziale Dreigliederung nicht allein eine Frage der denkenden Betrachtung, sondern auch eine des Handelns, eines solchen, durch das das Betrachtete geheilt und in der Zukunft fruchtbar fortentwickelt werden soll. Für den so handelnden Menschen aber kommen — sinnvoll angewendet — jene drei großen Ideale in Betracht, die Rudolf Steiner (z. B. am Ende des Kapitels „Die vom Leben geforderten wirklichkeitsgemäßen Lösungsversuche für die sozialen Fragen und Notwendigkeiten“ der „Kernpunkte“) als Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit schildert. Wir haben oben bereits mehrfach von ihnen gesprochen. Diese drei Ideale beziehen sich aber gerade auf die jeweilig „funktionell“ zusammenwirkenden sozialen Lebensbereiche und nicht auf die quasi „räumliche“ Dreigliederung des sozialen Organismus. Denn Brüderlichkeit ist nicht nur da am Platze, wo das soziale Leben „hauptsächlich“ Wirtschaftsleben ist, sondern auch dort, wo es nur „nebenbei“ Wirtschaftsleben ist, wie z.B. bei dem, was der Lehrer an seinen Schülern leistet; Gleichheit sollte nicht nur vor dem Gesetz gelten, d.h. dort, wo das Rechtsleben die Hauptsache ist, sondern auch z. B. beim Aushandeln eines Anstellungsvertrages zwischen Arbeitsleister und Arbeitsleiter, also dort, wo wirtschaftliche Vorgänge gewöhnlich im Vordergrund stehen, usw.. Daraus aber folgt für unseren Zusammenhang: Gerade als handelnde Menschen können wir uns nicht leisten, bei dem stehen zu bleiben, was Kloss als traditionelle Dreigliederung darstellt, sondern wir müssen uns zu dem durchfinden, was Schmundt sucht.

Dieser Beitrag wurde geschrieben, weil ich das Anliegen von Heinz Kloss mit aller Intensität zu meinem eigenen machen möchte. Wie er, will ich zu derjenigen Erkenntnisanstrengung anregen, von der allein wir hoffen dürfen, über ein Stadium der Dreigliederungsarbeit hinwegzukommen, bei dem jeder ungeprüft den bereits berühmten „Zipfel“ als die ganze Wahrheit ausgibt. Werden bei dieser Anstrengung die oben von ihrer möglichen Weiterentwicklung durch Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit her gebildeten Begriffe von Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben zu Werkzeugen des Erkennens gemacht, so zeigt sich, daß die Grenzen zwischen den drei von der Dreigliederung Rudolf Steiners gemeinten sozialen Lebensbereichen vollständig anders verlaufen als Kloss dies charakterisiert. Dann würde auch deutlich werden, daß jenes Bild dreier „großräumig“ aufgefaßter sozialer Lebensgebiete — Kloss spricht von den „Groß-Systemen“ des sozialen Organismus —

[Beiträge, Heft 28, Seite 59]

 

erst dann auftreten können, wenn sie, der Not gehorchend oder aus eigenem Antrieb, von den in diesem Organismus lebenden Menschen als die je verschiedene Selbstverwaltung der funktionell ineinandergreifenden sozialen Lebensbereiche ausgestaltet werden. Vorher kann von ihnen gar nicht die Rede sein. Was Kloss in dem gegenwärtig Gewordenen einfach aufzuklauben gedenkt, ist in Wirklichkeit dasjenige, was künftig erst werden soll. Und hierauf, d.h. auf die noch zu schaffenden Selbstverwaltungen beziehen sich, wie leicht einzusehen, jene Stellen Rudolf Steiners, die Kloss herbeizieht (Heft 27, Seite 18), um daraus einen Widerspruch zu der Auffassung Schmundts abzuleiten; was aber gar nicht möglich ist, da dieser sich mit dem oben Skizzierten nicht auf die je eigentümlichen Selbstverwaltungen bezieht, sondern auf dasjenige, was verwaltet wird. Damit soll keineswegs gesagt werden, daß es nicht notwendig sei, die Ergebnisse Schmundts über den Stand, den er selber ihnen in seinen Darstellungen gibt, hinauszuführen; das aber kann zum großen Teil von seinen eigenen methodischen Ansätzen her geschehen. So können wir gerade an den Arbeiten Wilhelm Schmundts ein Stück jener gediegenen Erkenntnisarbeit finden, zu der Heinz Kloss durch seinen Beitrag aufruft.

[Beiträge, Heft 28, Seite 60]