Aus der Bundestagsrede vom 13. März 1986

13.03.1986

Quelle
Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages
10/204, S. 156487-156488
Bibliographische Notiz

Die Flick-Affäre, meine Damen und Herren, ist keine Staatskrise.

[Deutscher Bundestag, 10/204, S. 156487]

Im Gegenteil! Daß politische Korruption mit parlamentarischen und justiziellen Mitteln untersucht werden kann, beweist die Tauglichkeit und Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen und die Offenheit unserer Gesellschaft. Daß wegen der bestehenden Mehrheitsverhältnisse die Aufklärungsmöglichkeiten im Flick-Untersuchungsausschuß begrenzt waren, ändert an dieser Feststellung nichts. Diese Mehrheitsverhältnisse wird das Volk, so hoffe ich, demnächst nachhaltig verändern, so daß sich auch dort eine bessere Situation ergibt,

(Beifall bei den GRÜNEN — Sehr gut! bei der SPD)

sozusagen als Nachhilfeunterricht in Demokratie an die Adresse derer, die für den Flick-Skandal verantwortlich sind. Denn die Flick-Affäre ist sicherlich zugleich eine Krise für die Parteien und Politiker, die in sie verstrickt sind. Daß im Supermarkt der Politik am Tresen bisweilen auch Personen mit dem Schild standen: Hier bedient Sie die SPD, ist angesichts der antifaschistischen Tradition der Sozialdemokraten ein trauriges Kapitel, das belegt, daß die SPD bei der Ausübung von Regierungsmacht leicht auf Abwege gerät, wenn sie den falschen Partner hat.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Das war ein Heiratsantrag! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Die Flick-Affäre ist exemplarisch für das ramponierte Rechtsbewußtsein der Regierungsparteien. Wenn sich Politiker zu Handlangern und Erfüllungsgehilfen mächtiger und übermächtiger Kapitalinteressen degradieren lassen, steht die Substanz der Demokratie auf dem Spiel. Die Geheimbündelei zwischen Politikern und Industriellen und das Fettgewebe der Republik, in dem sie sich gut ernährt haben, sind zum Teil bloßgelegt worden. Das Ausmaß an politischer Korruption war vor einiger Zeit noch unvorstellbar. Die Kette von Skandalen läßt manche vielleicht resignieren. Politik sei eben so, heißt es dann. Daran lasse sich wenig ändern.

Diesen Pessimismus teile ich nicht. Verändert werden muß aber mehr als die Parlamentsmehrheit. Wir haben insofern eine hinkende Demokratie, als das Volk gegenwärtig noch von der unmittelbaren Erörterung und Beschlußfassung in Sachfragen weitgehend ausgeschlossen ist. Eine Weiterentwicklung der parlamentarischen Demokratie in Richtung einer plebiszitären Komponente erscheint daher dringend notwendig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Neutralisierung der gesellschaftlichen Übermacht erscheint ebenfalls notwendig. Das heißt, wenigstens die elementaren Forderungen nach Steuergerechtigkeit zu erfüllen, beispielsweise — entsprechend der Mahnung des Bundesrechnungshofs — die überfällige Einführung einer Quellensteuer auf Kapitaleinkünfte. Neutralisierung der Kapitalmacht von Großunternehmen wird auf die Dauer jedoch nur gelingen, wenn wir uns auf eine grundsätzliche Neubestimmung des Eigentumsrechts im Sinne einer funktionellen Ausdifferenzierung verständigen.

(Beifall des Abg. Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE])

Wir sollten uns schließlich auch nicht scheuen, über grundlegende Veränderungen in unserer Gesellschaftsstruktur nachzudenken. Die Einsicht in die demokratiezerstörerischen Auswirkungen und die Monopolisierung und Zentralisierung gesellschaftlicher Entscheidungen in den staatlichen Korporationen und die bestehenden Abhängigkeiten könnten den Weg dafür ebnen, auch über Möglichkeiten einer Weiterentwicklung der Gesellschaft nachzudenken, die den herrschenden Konventionen und Denkgewohnheiten fremd und unrealistisch erscheinen. Wer sich diesem Nachdenken verschließt, wird vielleicht eines Tages unsanft erwachen und feststellen, daß die gegenwärtigen Gesellschaftsstrukturen äußerst brüchig sind.

Die vor rund 70 Jahren von Rudolf Steiner vorgestellte Idee einer funktionalen Gliederung der Gesellschaft in die drei Bereiche der Kultur, des Staates und der Wirtschaft könnte ein Entwurf für die Gesellschaft der Zukunft sein, für die Menschen, die sich nicht auf ihren Denkbequemlichkeiten ausruhen wollen und sich der existentiellen Gefahren für die Menschheit bewußt sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Rudolf Steiner hat bereits in den 20er Jahren auf Grund vertiefter Naturerkenntnis die biologisch-dynamische Landwirtschaftsmethode entwickelt, deren Bedeutung erst nach mehr als einem halben Jahrhundert in den Umrissen erkannt wird. Intellektueller Hochmut, schulwissenschaftliche Verbohrtheit und Machtdünkel, aber auch sektiererisches Verhalten von Anthroposophen haben über Jahrzehnte eine produktive Aufnahme der Gedanken Rudolf Steiners in die Gesellschaft verhindert. Heute könnte unbefangener und vorurteilsfreier darüber gesprochen werden. Eine konstruktive Aufnahme seiner Ideen in den gesellschaftlichen Dialog bereits in den 20er Jahren hätte jedenfalls diese Behauptung kann in der historischen Rückschau gewagt werden — die Katastrophe der Terrorherrschaft der Nazis und des Zweiten Weltkrieges vermeiden helfen.

(Zustimmung von den GRÜNEN)

Die schwere Schuld, die frühere Generationen mit ihrer Blindheit auf sich geladen haben, sollte uns mahnen, eine freie, ökologische, soziale, demokratische und friedliche Gesellschaft für unsere Kinder und mit unseren Kindern aufzubauen.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

[Deutscher Bundestag, 10/204, S. 156488]