Agrarwende in der Gesellschaft

01.09.2003

Die Landwirtschaft kann selbst dazu beitragen, Prioritäten und Zahlungsbereitschaft zu beeinflussen und zumindest Ansatzpunkte für eine partielle Trendwende zu schaffen.

Landwirtschaft muss alltäglicher Bestandteil auch des städtischen Lebens sein. Die Kette bzw. der Zusammenhang zwischen Landschaft, Ackerbau und Tierhaltung, Agrarprodukten und Lebensmitteln muss jeder Städterin und jedem Städter bewusst sein und mit positiven Empfindungen verknüpft werden. Wenn es gelingt, durch Schulbauernhöfe, Urlaub auf dem Bauernhof, Kleingärten in der Stadt, Direktvermarktung, regionale Frischemärkte in allen Stadtvierteln oder neue fantasievolle Angebote, eine alltägliche Präsenz der landwirtschaftlichen Urproduktion zu erreichen, kann sich deren Bedeutung und Wert vielleicht besser gegen konkurrierende Konsumgüter wie Autos, Fernreisen oder Handys behaupten. Auch in dieser Hinsicht sind Modelle wie Landwirtschaftsgemeinschaften und Höfe in gemeinnütziger Trägerschaft (siehe unten) von Bedeutung.

Landwirtschaft darf nicht am Markt vorbei produzieren. Diese Binsenweisheit gilt, obwohl die Einkommen der Landwirtschaft wesentlich durch staatliche Zuschüsse bestimmt werden und sich dies höchstens langfristig ändern wird. Neben der klassischen Direktvermarktung über Märkte, Hofläden, Abokisten oder Direktbelieferung liegt noch erhebliches Entwicklungspotential in einer regionalen Vermarktung mit bäuerlicher Beteiligung oder enger Kooperation zwischen Landwirtschaft und den nachgeschalteten Beteiligten.

Die nachfolgend beschriebenen Möglichkeiten kommen alle "aus der Praxis" und stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen pragmatischem Überleben und praktischer Umsetzung von Visionen.

Erwerbskombinationen

Seit Jahrhunderten werden Höfe im Nebenerwerb (weiter)geführt, wenn sie allein keine Existenz (mehr) sichern. 50% aller Betriebe in Deutschland sind Nebenerwerbsbetriebe. Daneben gibt es eine ebenfalls langjährige Tradition der "Erwerbskombinationen". Integration von Verarbeitung und Vermarktung, Bauernhofcafé, Sozialarbeit im weitesten Sinne, Ferien auf dem Bauernhof etc. ermöglichen das Weiterbestehen der Höfe. Auch das Phänomen, dass viele Landwirte ihre Maschinen selbst reparieren, bedeutet, dass eine weitere "Verarbeitungsstufe" in den Betrieb integriert wird, da dort eine höhere Wertschätzung und Wertschöpfung besteht.

Diese an sich sinnvollen Strategien verschleiern die Tatsache, dass es heute nahezu ausgeschlossen ist, von der landwirtschaftlichen Erzeugung selbst zu existieren. Auf privater Ebene geben die Höfe ihre Überschüsse aus anderen Bereichen in die Landwirtschaft. Es erfolgt eine "individuelle Umverteilung", die das Grundproblem nicht löst. Eine überbetriebliche Gestaltung dieses Prozesses steht noch aus. Zudem ist zu berücksichtigen, dass diese Strategien sehr hohe Anforderungen in den Bereichen Marketing, Organisation, Kundenorientierung und Personalführung stellen.

Landwirtschaft als gesellschaftliche Aufgabe

Einen weiteren Schritt stellt die Gestaltung von Landwirtschaft als "gesellschaftliche/soziale Aufgabe" dar. Es sollen Ansätze beschrieben werden, wie Wirtschaft, d.h. hier Erzeugung, Verteilung und Verbrauch von Lebensmitteln, so gestaltet werden können, dass sie den besonderen Anforderungen einer ökologischen Landbewirtschaftung entsprechen. Angesichts der als Moloch erlebten Wirtschaft ist es notwendig (und möglich), einzeln und in Gruppen anders zu denken, zu handeln und andere Verabredungen zu treffen.

Eigenanbau in zeitgemäßen Formen

Einige Höfe vermieten Gemüsebauparzellen an "Städter". Der Hof pflügt den Acker und sät das Gemüse, die Mieter übernehmen Pflege und Ernte. Auf diese Weise können Familien eigenes Gemüse ernten, genießen dabei aber fachliche Unterstützung und sozialen Austausch.

Community Supported Agriculture (CSA)

entsteht, wenn eine Gruppe von Verbraucherinnen und Verbrauchern das Jahresbudget einer Gärtnerei oder eines Hofes deckt und dafür ganzjährig mit Gemüse oder anderen Lebensmitteln versorgt wird. Das Modell verbreitete sich insbesondere in den USA erstaunlich schnell.

Gemeinnützige Trägerschäft von Landwirtschaft

Seit den 1960er Jahren bilden sich gemeinnützige Träger für biologisch-dynamische und ökologische Landwirtschaft; inzwischen gibt es in Deutschland ca. 50 derartige Vereine. Sie formulieren ihre Ziele in Anlehnung an das Leitbild des ökologischen Landbaus einerseits und an die Vorgaben des Steuerrechts zur Gemeinnützigkeit andererseits. Vereinsziele sind z. B. die Pflege der Kulturlandschaft, Förderung der Artenvielfalt, Forschung, Bildungsangebote oder therapeutische Aufgaben. Dabei ergeben sich ganz unterschiedliche rechtliche Gestaltungen. Meistens liegt das Eigentum an Grund und Boden - oft auch an den Wohn- und Wirtschaftsgebäuden - in der Hand des gemeinnützigen Vereins, seltener auch das lebende und tote Inventar. In der Regel erfolgt eine Verpachtung des Betriebes an eine Bewirtschafterfamilie oder Betriebsgemeinschaft. Die Pacht dient u.a. dazu, Darlehen des Vereins für den Kauf des Hofes oder Gebäudeinvestitionen zu bedienen. In anderen Fällen wird nur eine geringe Pacht gezahlt, aber der Pächter verpflichtet sich zur Erhaltung der Gebäude.

Wichtige Vorteile bzw. Chancen der gemeinnützigen Trägerschaft sind:

  • Die Existenz eines Hofes und seine nachhaltige ökologische Bewirtschaftung können unabhängig von der Erbfolge gesichert werden.
  • Die Bewirtschaftung eines Hofes kann durch Menschen erfolgen, die die erforderlichen Fähigkeiten und Erfahrungen haben und z.B. das Kapital für das Inventar aufbringen können - nicht jedoch für Land und Gebäude.
  • Der Boden wird als eigentlich unverkäufliche Existenzgrundlage des Menschen behandelt, nicht als Spekulationsobjekt.
  • Zinsgünstige oder zinslose Mittel für den Kauf eines Hofes oder Investitionen können leichter aufgebracht werden.
  • Die gemeinnützige Trägerschaft bietet einen Rahmen für regionales Bürgerengagement in der Landwirtschaft, für ihre vielfältigen ökologischen, kulturellen oder sozialen Aufgaben und Möglichkeiten.
  • Einige Landwirte auf Höfen in gemeinnütziger Trägerschaft haben die Erfahrung gemacht, dass die Beratung aus dem Verein, z.B. bei Investitionsmaßnahme hilfreich ist.

 

Cornelia Roeckl, Geschäftsführerin der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, www.zs-l.de

 

Was kann jede/r einzelne für eine Agrarwende tun?

• Als Bodeneigentümer oder nicht-aktiver Hoferbe können Privatpersonen Flächen zu günstigen Konditionen an Biohöfe verpachten oder schrittweise die Überführung in einen gemeinnützigen Träger betreiben.
• Als Mitglied von Kirchengemeinden kann man nachfragen und Einfluss nehmen, wie die landwirtschaftlichen Flächen der Gemeinde genutzt und verpachtet werden. Angesichts der hohen Bedeutung der Kirchen als Landeigentümer ist dies nicht unbedeutend.
• Als Sparerin/Sparer kann man eigene Rücklagen über ein "Grünes Konto" der GLS Gemeinschaftsbank eG für Kredite an Biohöfe zur Verfügung stellen. Ein eventueller Zinsverzicht kommt in Form von zinsgünstigen Krediten den Kreditnehmern zugute.
• Als Spenderin/Spender kann man den Kauf von Höfen oder Flächen durch gemeinnützige Träger ebenso unterstützen wie langfristige Forschungsprojekte in der Saatgut- und Tierzucht, Fragen der Lebensmittelqualität etc. Ohne die finanzielle Unterstützung von Privatpersonen und Stiftungen erreichen diese Forschungsprojekte nicht das erforderliche Niveau.
• Als Kantinenkundin oder –kunde kann man sich dafür einsetzen, dass Bio-Lebensmittel verwendet werden – wenn möglich aus der Region. Und als Mitglied von Parteien oder Naturschutzverbänden kann sich schließlich jede/r landwirtschaftliche Themen auf seine/ihre Agenda setzen.

 


Quelle: Auszüge aus: Die gegenwärtige Situation der Landwirtschaft und Perspektiven einer praktisch-politischen Agrarwende, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, 138. Folge, 9/2003, www.sozialoekonomie.de