Islamophobie im Berliner Innenministerium - Offener Brief

01.11.2004

Islamophobie in Ihrer Behörde: "Es geht gegen diese Person"
Offener Brief an den Berliner Senator für Inneres Ehrhart Körting

Zwar haben Sie mir noch nicht einmal den Eingang meines vorigen Schreibens bestätigen lassen, (vom 28. Mai 2004; zu dem inzwischen ins Abgeordnetenhaus eingebrachten Entwurf eines Kopftuchverbotsgesetzes) aber ich vertraue dennoch darauf, dass Ihr Demokratieverständnis nicht das Niveau eines Scheikhs oder Emirs des Karl-May-Zeitalters unterbietet: Damals hatte jeder Stammesangehörige wenigstens das Recht auf Gehör bei der Obrigkeit.

Nun lese ich in der Berliner Zeitung und in anderen Tageszeitungen, wie Ihre Behörde auf angeblich bei einer Predigt in einer Kreuzberger Moschee gefallene Äußerungen mit Repression und Androhung der Abschiebung reagiert. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Sie mit dieser aufgeregten und aufregenden Reaktion dem friedlichen Miteinander in unserer Stadt und der gegenseitigen Achtung voreinander einen Dienst erweisen. Inzwischen hat der in den Medien bisher als namenlose Unperson angegriffene Imam oder Hodscha einen Namen bekommen: Imam Yakup Tasci ist also in das Berliner Landeskriminal(!)amt einbestellt worden. Ihre Sprecherin, Frau Morgenstern, soll gesagt haben: "Es geht gegen diese Person".

Herr Tasci und die Mevlana-Moschee sind mir bisher unbekannt. Ich kenne nur die jetzige Pressekampagne. Er hat die Frage nach dem Nutzen "der Deutschen" für Gott und die Welt und die in Deutschland lebenden Muslime gestellt und geglaubt, sie für sich negativ beantworten zu müssen. Vielleicht hätten wir uns die Frage selber stellen sollen. Die jetzige Kampagne von Medien und Behörden aber bestätigt doch eher, was wir nicht gerne hören wollen. Vielleicht könnten die gestellte Frage und, wie wir damit umgegangen sind, Thema für ein Podiumsgespräch sein, zu dem man Sie und Herrn Tasci ins Haus der Kulturen der Welt bitten sollte. Was an der Predigt strafrechtlich relevant sein soll, außer dem illegalen Mitschnitt, sehe ich nicht. Über "die Deutschen" dürfen wir laut Grundgesetz verschiedener Meinung sein. Ob es klug ist, so zu verallgemeinern, steht auf einem anderen Blatt.

Auch soll Herr Tasci behauptet haben, dass Deutsche nicht beten, sich nicht wüschen und folglich nicht gut röchen. Die Verallgemeinerung ist auch nicht gerade freundlich, aber sie ist nichts gegen die von uns alltäglich ausposaunten Verallgemeinerungen über Türken und Muslime. Zu Ihrer Information: Es gibt auch deutsche Muslime. Die Menschen, an die sich Herr Tasci wandte, beten fünf mal am Tag zu festgelegter Stunde und vollziehen vorher die dazu gehörige Waschung. Nicht alle Muslime tun das. Aber Hand aufs Herz: Wer von uns wäscht sich fünf mal täglich? Und was das Gebet anbetrifft: Wer es selbst versucht hat, weiß, wie schwierig es ist, auch nur drei mal täglich an etwas Vorgenommenes zu denken. Unsere mittelalterlichen Mönche halfen sich gegenseitig dabei. Allein und im Tagesstress ist es schwierig. Und die Reinigung der Gedanken, für die die äußerliche Wäsche ja nur Symbol ist: Schon einmal täglich würde uns davor schützen, auf solche ausländer- und religionsfeindlichen Kampagnen von Behörden und Medien hereinzufallen.

Aber auch die rein äußerlich begriffene Frage der Waschungen muss bereits nachdenklich stimmen: Als Norddeutsche sind wir im Schwabenland den gleichen Anwürfen ausgesetzt wie unsere nichtdeutschen Mitbürger hier. Die gleiche Wortwahl gegen die "Preißen", aber noch kein Schwoab wurde wegen Volksverhetzung angezeigt. Deutsche dürfen das sagen. Und der schwäbische Nachbar in Berlin, der akribisch und demonstrativ so oft vor seiner Haustür fegt, wie der Muslim betet, gilt nicht als gefährlicher Fundamentalist. Mehr noch: Ein deutscher Afrikaforscher, Farmer, Kolonialoffizier und Schriftsteller, hatte auf einer seiner Expeditionen in Namibia bei einer unvorhergesehen notwendig gewordenen Übernachtung im "Busch" seinem Herero-Begleiter angeboten, mit ihm das Zelt zu teilen. Der Eingeladene lehnte höflich ab und erklärte auf Nachfrage: "Alle Weißen stinken!" Er wurde nicht wegen Beleidigung der Herrenrasse belangt.

Sehr geehrter Herr Senator: Wir verlangen die Assimilation bis zum Geht-nicht-mehr, verweigern anschließend die versprochene Integration und wundern uns dann über die Resignation, mit der die Abgewiesenen ins Ghetto zurückkehren, und dass sie uns dann nicht mehr so lieben. Die offenen Worte von Herrn Tasci, ob sie nun richtig oder fehlerhaft kolportiert wurden, sollten in uns die Frage hervorrufen, was wir wohl falsch gemacht haben. Der Vorschlag eines Podiumsgespräches ist ernst gemeint: Wenn schon "gegen", dann bitte im Sinne von "endlich gegenseitig Kennenlernen"!

Das sollte man nicht an Polizei und Geheimdienste delegieren: Werden eigentlich in der Sankt-Hedwigs-Kathedrale oder im Berliner Dom auch Predigten mitgeschnitten und bei Nichtgefallen an die Medien gegeben? Müssen christliche Gemeinden, Erzbischof und Landesbischof auch Angst haben, dass interne Äußerungen Anlass für Polizeirazzien in der Kirche und Abschiebungen von Mitarbeitern sein könnten?

Bitte deeskalieren Sie!

Mit freundlichen Grüßen
Jürn Hinrich Volkmann, 20.11.2004


Quelle: Trigolog Berlin 12/2004, Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors