Ausbildung - die Zukunft der biologisch-dynamischen Bewegung

Wir müssen nur genau wissen wie die Welt in zwanzig Jahren aussieht, dann wissen wir auch genau, was wir den heutigen "Lehrlingen" beizubringen haben.

Man sieht sofort, dass dieser Satz in sich zu stimmen scheint, der Realität gegenüber aber absurd ist, wenn Zukunft Zukunft bleiben soll.

Biologisch-dynamische Ausbildung

Mitte September, im Anschluß an das Fest des Studienjahres der Landbauschule Dottenfelderhof mit der Darstellung der Projektarbeiten, trafen sich Vertreter der freien biologisch-dynamischen Ausbildungen. Dieses Treffen ist die Fortentwicklung des Lehrherrentreffens, das Anfang der siebziger Jahre auf Initiative von Wilhelm Ernst Barkhoff durch die Betriebsgemeinschaft Dottenfelderhof, Karl v Hörsten, Friedrich Sattler, Dieter Scharmer, Dr. Wolfgang Schaumann und Georg Glöckler ins Leben gerufen wurde. Damals gab es den Warmonderhof, das Emerson College, die Bauernschule Weckelweiler und Einführungskurse. Bald darauf entstand die Landbauschule Dottenfelderhof mit Januar- und Februarkurs (´75/´76), die Freie Landbauschule am Bodensee ( ´79), die Freie biol.-dyn. Berufslehre in der Schweiz (´80),die Freie biologisch-dynamische Ausbildung in Norddeutschland (´83), sowie das Studienjahr am Dottenfelderhof (´85) . Auch in den anderen europäischen Ländern ist bis heute eine stetige Entwicklung freier Ausbildungen im Gange (Übersicht). Ein Gutteil später begann auch das staatliche Unterrichtswesen sich für den "Öko"-Landbau zu interessieren; Unis und Hochschulen richteten Lehrstühle, Wahlpflichtfächer, Studienschwerpunkte und Studiengänge ein, Fach-, Techniker- und Berufschulklassen kamen hinzu und 2005 wird eine Stiftungsprofessur für den biologisch-dynamischen Landbau in Witzenhausen geben.

Ausbildung zwischen Individualisierung und Ökonomie

Der Zustrom zu den verschiedenen Ausbildungen und Studiengängen ist unterschiedlich und schwankt sehr. Für den interessierten Beteiligten aber auch für die Mitarbeiterinnen der Auskunftsstelle, die seit vielen Jahren an den Treffen teilnehmen, und durch die Vermittlung zwischen suchenden Menschen und Höfen bzw. Institutionen einen noch anderen Überblick haben (Kontakt) ist es schwer, aus diesen Schwankungen die Qualität der Ausbildungen oder die Nöte der Suchenden abzulesen.

Die Erhebung über biologisch-dynamische Ausbildungen im deutschsprachigen Raum (2000/2001) hat zusätzliche Einblicke eröffnet und zu den Projekten "Verbesserung der Ausbildung" (und "Freiwilliges Landwirtschaftliches Jahr/Zukunft des Zivildienstes" geführt.

Die Auslastung der Ausbildungs- und Studiengänge hat auch wirtschaftliche Aspekte, wichtiger aber ist es, ob das Angebot von der Zielgruppe angenommen wird. Dabei spielt es eine große Rolle, wer Abnehmer des Produktes ist. Produzieren wir Gärtner und Landwirte für die Gesellschaft ("moderne" Betriebe) oder machen wir ein Angebot für tätige Menschen, die ihre Zukunft in die Hand nehmen wollen? Gesellschaft, Bauern, Gärtner und die Suchenden arbeiten ständig an der Entwicklung des Berufsbildes. Heute drängt uns die Ökonomie zum Manager eines großen Unternehmens mit wenigen weisungsgebundenen Fachkräften und vielen Maschinen bzw. un- oder angelernten Zeitkräfte. Die wachsende Individualisierung und Autonomie führen aber zu gegliederten Strukturen, in denen an möglichst vielen Stellen Menschen stehen, die ihre Arbeit auch ökonomisch selbst verantworten. Beide Bilder können auf den sogenannten Wirtschaftsbetrieb wie auf Organisationen zutreffen, deren Leitbild die Pflege von Natur und Mensch ist. Dazwischen gibt es natürlich alle möglichen Mischungen.

Wir kommen nicht an der Tatsache vorbei, dass die jungen Menschen am meisten mit der Zukunft zu tun haben. Zum einen, weil die jetzt Suchenden die neuesten Bilder aus der geistigen Welt mitgebracht haben und zum anderen weil die jetzt 21 bis 27- jährigen in 15 bis 40 Jahren die Welt gestalten und hoffentlich wollen. Aber, da sie sich selbst und die Welt nur langsam kennen und lieben lernen ist es unsere vornehmste Aufgabe ihnen dabei zu helfen, sich zu begegnen, um gegenseitig an den Idealen des anderen aufzuwachen. Das diesjährige Fachtreffen, versuchte, unsere Bilder dazu zu klären.

Was suchen die jungen Menschen bei uns?

Sie suchen natürlich einen biologisch-dynamischen Hof um mehr oder weniger zielgerichtet Landwirtschaft zu lernen. Aber wie sieht das heute aus? Ein Kurs des Grundjahrs zieht z.B. zwei Diplombiologen, eine Diplomsozialpädagogin, drei Menschen mit unternehmerischer Erfahrung, ein schwer zu differenzierendes Mittelfeld, aber auch Menschen ohne Schul- oder Berufsabschluss an, insgesamt über 30 Menschen zwischen 18 und über 40 Jahren mit mehr oder weniger Suchterfahrung. Zu dieser "Sammlung" kommen weitere Phänomene: Reinstürzen in die Arbeit bei oft mangelhafter Konstitution, starkes Interesse am Sozialen und am konkreten Gegenüber; Kurse, Stunden oder ganze Tagungen werden aus schwer fassbaren Gründen, "brauch Zeit für mich", versäumt. Es zählt, was jetzt anspricht. Wissen für später aufspeichern, dranbleiben ist oft nicht angesagt. Der Wille, etwas zu erleben und ein Unwille, etwas zu schreiben ja manchmal auch zu lesen, gegen jede Art der Theorie ist verbreitet.

Vielleicht ist es eine gesunde Abneigung gegen Theoretisches und Systeme. Weltanschauungen und Religion werden als Überbau erkannt, Bildung und Kultur sind seit dem Naziregime gewissermaßen kompromittiert, Kunst wird nicht ernst genommen seit sie zur Verzierung wurde, Wissenschaft ist verdächtig, da sie Atom- und Gentechnik hervorbrachte. Diese Haltung, die unsere Generation sich erst mühsam erworben und nun manches wieder überwunden hat, bringen die nach 70 geborenen mit auf die Welt und so ist die Schulmüdigkeit nur zu verständlich. Sie nehmen das Wort "Trau keinem über dreißig" ernst, und suchen doch ihr Urteil in der Auseinandersetzung mit uns. Vor allem merkt man an den Versuchen zur Toleranz, aber daran, wie sie sich Hof, Ausbilder und Lebenskreis suchen, dass sie einen individuellen Weg gehen wollen und wir ihnen nicht gerecht werden, wenn wir ihnen nicht dazu die Möglichkeit dazu schaffen.

Die Suche nach dem eigenen Selbst taucht auch im Rätsel des eigenen Körpers auf: bei der Arbeit, im Umgang mit Ernährung: vegetarisch, vegan, makrobiotisch, roh, nur Früchte keine Nüsse...; Fasten und Lichtnahrung werden getestet oft mit einer Konstitution, die solche Experimente verbietet. Sie suchen die Begegnung mit Menschen, die in der Welt arbeiten, um sie zu verändern, sie suchen die Gemeinschaft mit anderen Suchenden, beides um sich selbst zu begegnen: Sie suchen das Erleben und die Arbeit an der Natur, um nicht aus zweiter Hand alles Mögliche mitgeteilt zu bekommen, sondern um selbst konkrete geistige Erlebnisse zu haben und seien sie noch so klein. Klar ist das Bild nicht, aber es kann uns schon helfen uns der Aufgabe zu nähern: Aus dem Blickwinkel der Jugend ihr ermöglichen, Ideale zu prüfen, eigenständige Urteile zu finden, selbständig handeln und weniger, Demeter als Methode aus dem Blick des vergangenen vermitteln. Letztendlich vertrauen in die Menschen und sie mit entsprechenden Fähigkeiten ausstatten.

Ausbildung sollte von der Zukunft aus denken

Wie können wir mehr aus den der Jugend eigenen Zukunftsaspekten und weniger aus unseren Vorstellungen und dem Vergangenheitsaspekt der Demeter- Landwirtschaft arbeiten?

Sich selbst finden und in der Auseinandersetzung mit der Welt und den Schicksalsgefährten mitgebrachte Ideale prüfen, zum eigenständigen Urteil kommen, das ist das Wichtigste, um die Zukunft ergreifen zu können. Besonders junge Menschen, die uns finden, sind für diesen Punkt des eigenen Weges sehr sensibel. Einerseits suchen sie sich auf Höfen Situationen, die teils extrem einschränkend sind, andererseits wehren sie sich heftig oder wechseln Hof und Ausbildung, wenn sie sich in ihrem Weg oder Wert bedroht fühlen. Wir könnten einen Katalog von Zukunftskompetenzen für einen biologisch-dynamischen Betriebsleiter aufstellen, indem wir Entwicklungslinien weiterdenken, unsere eigenen Ideale untermischen und daraus ein Curriculum erstellen. Aber das bleibt abstrakt, und wie manche Zwischenprüfung zeigt, perlen Antworten auf nicht gestellte Fragen an vielen jungen Menschen ab. Manche Fragen aber gehören zur Ausstattung jeder Jugend, andere sind latent in jedem Angehörigen einer bestimmten Generation vorhanden.

Welche Fragen hat die Jugend 2005?

Im Zentrum stehen heute sehr persönliche Fragen. Wir neigen dazu, sie von uns selbst abstrahiert zu beantworten. Aber konkrete Erlebnisse z. B. geistiger Art und praktische Hilfen in seelischer Not oder bei Lebensentscheidungen werden erwartet. Der einzelne Mensch, aber auch die Gemeinschaft stehen im Mittelpunkt: Bist du, der du scheinst? Interessierst du dich für den anderen, für mich? Und hier erweitert sich die Frage in Richtung Qualität: die Frage nach der Qualität des Umgangs mit sich selbst, mit Zeit, mit anderen Menschen, mit Tieren, besonders dem Einzeltier, mit Pflanzen, dazu aber auch abstraktere Fragen nach Ressourcenschutz, Dritter Welt etc.. gelingt es auf diesem Raum zu geben, kann das beim Leben auf dem Hof konkrete Bindung an Aufgaben bewirken.

Freie Ausbildung: welche Methoden stehen uns zur Verfügung?

Eine Methode besteht darin, eine wahrnehmbare Gesprächsbereitschaft zu haben, und das über - im wahrsten Sinne - Gott und die Welt. Das betrifft anfangs vornehmlich den Bildungskatalysator (früher Ausbilder). Im Stall und auf dem Feld heißt das, jede Möglichkeit zum Innehalten nutzen, jede Bemerkung zur Fell- oder Gliedmaßenbeschaffenheit, zur Unkrautwurzel, die uns beim gemeinsamen Arbeiten neu auffällt, weckt Fragen. Jedes Anhalten im Tages- oder Wochenlauf zu Vor- und Rückblick (Planung /Tagebuch), ebenso Feldrundgänge und Berichte bilden den größeren Rhythmus. Der Betriebsspiegel und eine Hofdarstellung vom Sichausbildenden (früher Auszubildender ) vor Kunden oder anderen Kursen präsentiert, ist für den Betriebsleiter aufschlussreicher als sein eigener. Viel Verantwortung, selbst geplante, praktische aber auch erkenntnismäßige Projekte machen persönliches Engagement leichter.

Auf den Seminaren der vierjährigen biologisch-dynamischen Ausbildung kann diese Methode aufgenommen werden. Zunächst kann gemeinsam eine gründliche Beobachtungs- und Denkschulung erarbeitet werden, an praxisrelevanten Objekten, die aber trotzdem möglichst neu für alle sind. Schwerpunkt dabei ist das Zurückhalten des Urteils. Diese Schulung ist ein Teil der Antwort auf die Frage nach geistiger Erfahrung. Auf diesem Gebiet ist uns die junge Generation voraus. Doch wir können die geistige Welt als heutige Erfahrung im Gespräch halten, und auch helfen, Unterscheidungsvermögen und (Gefühls-)Urteile gegenüber undifferenzierten Aussagen und schwer einzuordnenden Erfahrungen zu stärken.

Die Kunst besteht darin, die Spannung bzw. Nähe zwischen konkreter Lebensanforderung in der Arbeit und dem Innehalten bzw. Rechenschaft ablegen in der Betrachtung zu gestalten. Gelingt es, dass 15 von 18 Kursteilnehmern zum Thema Kälberaufzucht Berichte von ihrem Betrieb schreiben, diese dann in kleinen Gruppen vergleichen und mit allen auf Unterschiede, Ungereimtheiten und Hintergründe untersuchen, so trifft ein Dozent mit seinem Fachwissen auf vorbereiteten Boden, er kann aussäen und gründliche Begriffsbildung anlegen. Bei dieser Methode kommen Buchwissen und Fachbücher erst als Ergänzung dazu, wenn die Möglichkeit der eigenen Urteilsbildung angelegt ist und starre Begriffe vermieden werden. Referate, Projekte, die Einladung von Dozenten und das Gestalten von ganzen Treffen sowie eine Jahresarbeit bieten Raum für Eigeninitiative und Individualisierung.

Konfrontation gehört dazu. Mit Selbständigkeit und Engagement seine individuelle Ausbildung, aber auch die der Gruppe zu betreiben, erfordert alle Kräfte. Gute Beispiele gibt es viele, auch schlechte. Zwischen- und Abschlussprüfung können nur einen Teil der Leistungsdokumentation bilden. Die Entwicklung eines Persönlichen Erfahrungs-Portefolios , die wir anstreben, soll helfen, alle Lern- und Lebenserfahrungen, Referate, Projekte, Arbeitszeugnisse, Jahresarbeiten, Arbeitsbereiche und Fertigkeiten zu dokumentieren. Mit einem solchen PEP in der Hand kann ein potentieller Arbeitgeber recht gut entscheiden, ob der Absolvent einfach mitarbeiten soll, Verantwortung für einen Bereich übernehmen kann oder ein späterer Betriebsleiter ist. In der Gehilfenzeit kann diese PEPortfolio ergänzt werden. Bei einer solchen freien und auch anthroposophischen Ausbildung lernen alle, Kursleiter, Ausbilder und Lernende gemeinsam für die Zukunft und Kursleiter, Lehrherren und Lehrfrauen erreichen das Ziel, ein Leben lang Lehrlinge zu bleiben.

Clemens von Schwanenflügel, Hof Wörme, ist Koordinator der Freien Biologisch-dynamischen Ausbildung in Norddeutschland.