Der Josephspfennig

01.01.2012

«Hätte Joseph, als verantwortlicher Vater von Jesus zur Geburt seines Sohnes einen Cent bei der Sparkasse Bethlehem angelegt und einen jährlichen Zins von 5% vereinbart ... »

Diese Geschichte hat so nicht stattgefunden, aber sie hätte durchaus stattfinden können, da es durchaus Bankhäuser gibt, die über Jahrhunderte existieren. Bei einer Verzinsung von 5% (einschließlich Zinseszins) verdoppelt sich die angelegte Summe in ca. 14 Jahren. Dieser Vorgang wird exponentielles Wachstum genannt.
Nehmen wir weiterhin an, die Erben von Jesus hätten im Jahr 2000 das Vertrauen in die israelischen Sparkassen verloren und wären dem Rat gefolgt, den man immer häufiger lesen kann, dass man zur Vermögensabsicherung in physische Edelmetalle investieren soll. Nehmen wir auch an, sie hätten sich gesagt, die Goldgewinnung ist ökologisch erheblich problematischer als die Silbergewinnung, deshalb wollen wir uns unser Erbe in physischen Silberbarren auszahlen lassen.
Der Auftrag an die Bethlehemer Sparkasse im Jahr 2000 würde also lauten: «Bitte liefern Sie den ursprünglich angelegten Cent einschließlich der aufgelaufenen Zinsen und Zinseszinsen in Form von 1 kg Silberbarren an unsere Ihnen bekannte Heimatadresse in Bethlehem».

Zu liefern wären 23 Billionen Silberkugeln vom Gewicht unserer Erde oder
23.900.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.-€ oder $ = 23,9 X 1039

Da ich noch niemanden getroffen habe, der das glauben mochte, hilft nur ein Taschenrechner.
Die Hausbank wird nicht liefern können und jeder versteht, warum.
Nicht einmal eine Silberkugel vom Gewicht unserer Erde wird sie liefern können, geschweige denn 23 Billionen!
Bis zur Auftragserteilung gab es übrigens kein Problem und das ist symptomatisch.
Die Zahl von 23.900.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.- Euro stand im Computer und konnte, eine kleine Schriftgröße vorrausgesetzt, auch auf dem Bildschirm angezeigt werden. Auch die Erhöhung der Summe am Jahresende um jeweils 5% war ein ganz «normaler» Vorgang. Fast jedem von uns werden am Jahresende die Zinsen von zur Zeit 1,4% bzw. 8,5% (Februar 1992) gutgeschrieben, weil unser Geld ja «gearbeitet» hat.
Das Problem tritt also erst ein, wenn jemand verrückterweise mit der Wirklichkeit wirklich echt ernst macht, wenn die lautlose und auf dem Papier irgendwie wirkungslose Vermehrung in die Realität einbricht. Wäre unser Geld noch mit Gold oder anderen Sachwerten wie Grundstücken gedeckt, würde man bemerken, dass dem Zinseszins Grundstücke im Wert von mehreren Erden hinterlegt sein müssten. Es ist also die Verknüpfung der Abstraktion des ungedeckten Geldes mit der Mathematik des Zinseszins, die das Unmögliche scheinbar möglich macht.

Nun gibt es noch eine kleine interessante Parallelrechnung, die zum Vergleich mit dem obigen Beispiel recht lehrreich ist. Nehmen wir an, Josef hätte, veranlasst durch die Kritik seines Sohnes, den Vertrag mit der Bethlehemer Sparkasse ganz leicht modifiziert, indem er vereinbart hätte, dass zwar jedes Jahr die Zinsen von 5% gezahlt und gesammelt, die Zinseszinsen aber nicht berechnet und nicht gezahlt werden sollen.
Im Jahr 1 wäre der Kontostand bei beiden Varianten noch gleich gewesen.
1 ct + 5% ergibt 1,05 ct. oder 0,0105 €. Im zweiten Jahr, dem ersten Jahr, in dem Zinseszins auflaufen, ergibt sich ein minimaler Unterschied.
Variante A   mit Zinseszins: 1,05 ct + 5% auf 1,05 ct = 1,1025 ct
Variante B   ohne Zinseszins: 1,05 ct + 5% auf 1 ct = 1,1 ct.
Josef hat also im Namen und mit Einverständnis von Jesus auf die Differenz von 0,0025 ct verzichtet. Das ist verschmerzbar, weil er ja die Hauptsumme an Zinsen, nämlich 0,05 ct bekommen hat. Der Zins ist logischerweise 20 mal so hoch wie der Zinseszins.
Wie sieht also das Vermögen nach 2000 Jahren mit diesem kleinen Verzicht aus?
Die Rechnung ist im Gegensatz zu der vorherigen Rechnung ganz einfach und kann im Kopf ausgeführt werden. Bei 5% Zinsen erreicht man in 20 Jahren eine Verdoppelung der angelegten Summe (5% X 20 = 100% = 1ct). In 200 Jahren hat man also 10 ct Zinsen erwirtschaftet und in 2000 Jahren sind es 100 ct, also 1.- €. Und das ist gar nicht schlecht. Es ist eine Verhundertfachung des eingesetzten Kapitals und das ohne Arbeit und praktisch wie im Schlaf oder im Tiefschlaf, weil die Nachfahren von Jesus ja die ganzen Jahrhunderte nicht an das sich vermehrende Vermögen gedacht hatten. Nochmal:
Mit 5% Zins, aber ohne Zinseszins wird aus einem Cent in 2000 Jahren 1.-€
Mit 5% Zins und Zinseszins werden aus einem Cent in 2000 Jahren
                            23.900.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.-€.
Die Differenz von    23.899.999.999.999.999.999.999.999.999.999.999.999.999.-€
wird also ausschließlich vom Zinseszins verursacht.
Das bedeutet: Theoretisch (auf dem Papier oder im Computer programmiert) ist der Zinseszins durchaus denk-bar und somit auch berechenbar, praktisch ist er undenkbar und zerstörerisch. Das merkt man, wenn man sich vorstellt, dass Josefs Erben der Hausbank mit dem Gerichtsvollzieher drohen, weil sie nicht liefert.
Die Hausbank würde dann, um ihren guten Ruf nicht zu verlieren und auch um den Zinseszinsgedanken nicht in Misskredit zu bringen, die gesamte Erde bis in die tiefsten Tiefen durchwühlen lassen um Silber zu beschaffen.
Aber jeder 9. Klässler weiß es schon. Selbst wenn der durchschnittliche Silbergehalt der Erde 10% betrüge und die Jerusalemer Hausbank weltweite Schürfrechte erworben hätte und die Technik zur Verfügung stünde, bis zum Erdmittelpunkt zu schürfen (tatsächlich erreichen die tiefsten Bohrungen heute ca. 14 km = knapp 2/1000 der Strecke bis zum Erdmittelpunkt) kämen nur ein Zehntel vom Gewicht einer Erdkugel heraus. In Wahrheit beträgt der Silbergehalt der Erde 0,079 ppm oder 0,0000079% der Erdkruste. Liefern muss die Bank aber 23.559.000.000.000 Silberkugeln vom Gewicht unserer Erde. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann gräbt sie noch heute.

Michael Benner