Der Stoffwechsel lässt sich nur mit dem Geistesleben vergleichen

Ergänzende Anmerkungen zur Mai-Ausgabe 2014 der Erziehungskunst

01.07.2014

Es ist sehr zu begrüßen, wenn Herr Maurer in seinem Editorial Anschlussbedarf schreibt: „Die Idee der »Dreigliederung des Sozialen Organismus« darf keinem Waldorfschüler in Anbetracht der brennenden Nöte unserer Zeit vorenthalten werden ...“ ( über den Zusatz „und gehört in jeden Lehrplan.“ schweige ich an dieser Stelle lieber). Nur begeht er den klassischen Fehler gegenüber der Dreigliederung des sozialen Organismus, wenn er meint: „Im »Stoffwechsel«, in der Erzeugung, Verteilung und im Verbrauch von Gütern, im Wirtschaftleben unserer Gesellschaft lebt Brüderlichkeit – selten verbrauchen wir das, was wir erzeugt haben.“

Herr Maurer setzt hier fast nebenbei den Stoffwechsel des einzelnen Organismus mit dem Wirtschaftsleben des sozialen Organismus gleich.

Ich muss bekennen, dass ich mir vor Jahren den selben Fehler eingestehen musste, – frei nach Steiner – weil man ja alles, was man richtig denkt, erst einmal falsch gedacht haben muss.

Richtig gedacht ergibt sich eine Vergleichbarkeit des Kopf- oder Nervenpols des menschlichen Organismus mit dem Wirtschaftspol des sozialen Organismus, des rhythmischen Systems mit der Rechtssphäre und des Stoffwechsellebens mit dem Geistesleben.

So stellt Steiner es zum Beispiel im Vortrag vom 5. Februar 1919 in Zürich dar:

„Dasjenige System, das im Menschen als das gröbste, als das eigentlich Stoffliche angesehen wird, eben das Stoffwechselsystem, das würde ein bloßes Analogiespiel wahrscheinlich vergleichen mit dem, was man nennt das grobe, materielle Wirtschaftsleben. Derjenige, der die Dinge nun für sich betrachten kann, der weit von sich weist ein bloßes Analogiespiel, der weiß, daß das, was wirklich ist, gerade umgekehrt ist gegenüber dem, was durch ein bloßes Analogiespiel herauskommt. Für den sozialen Organismus liegen gegenüber der wirtschaftlichen Produktion und Konsumtion, gegenüber der wirtschaftlichen Warenzirkulation so die Gesetze dem Leben zugrunde, wie im menschlichen natürlichen Organismus Gesetze zugrunde liegen seinem Nerven- und Sinnesleben, gerade seinem Geistsystem.“ [1]

Der Grund für diese Zuordnung liegt darin, dass das Wesentliche am Stoffwechselgeschehen der aufbauende Prozess, der Lebensprozess ist, der sich auch im Geistesleben findet: Aus dem Geistesleben belebt sich der soziale Organismus, erneuert er sich. Würden zum Beispiel keine neuen Schüler ausgebildet, ließe man sie gleich arbeiten, anstatt zur Schule zu gehen, auch keine Mathematik erlernen, würde das gesellschaftliche Leben bald verdörren und veröden. An den Bau einer Eisenbahnbrücke wäre zum Beispiel nicht zu denken. Und dabei ist das sogar nur verwandeltes, metamorphosiertes altes Geistesleben, welches dabei zum Tragen kommt, im Gegensatz zu Waldorfpädagogik, die aus neuen geistigen Quellen schöpfen muss, wenn sie sich zurecht so nennen will.

Ganz anders verhält es sich im Bereich der Wirtschaft, in der heutigen arbeitsteiligen Wirtschaft, in der jeder (der kann) seinen Beitrag für die anderen Menschen leisten soll. Wie im Menschen nur Bewusstsein entsteht, wenn in den Nerven lebendige Substanz zerstört wird, so dass Seelisch-Geistiges hindurch kann, so ist auch die Wirtschaft in Bezug auf den sozialen Organismus etwas, was das höhere Leben tötet, dem vollen Menschen in Richtung Tier – Bedürfnis und Befriedigung – zwingt. Ein Überhandnehmen des wirtschaftlichen Pols verschleißt die Menschen, zerstört die Freiheit zugunsten von Nützlichkeit, wie dies ja heute tendenziell und bis in Extreme der Fall ist. Es lässt sich dabei als Illustration z.B. an Fabriken in China denken, in denen Menschen wie Sklaven gehalten werden, weil sie für den Weltmarkt, für uns, billig produzieren sollen. Genauso lässt sich aber auch an den Manager denken, der wie in einer Mühle gefangen, nicht mehr als voller Mensch agieren kann, weil seine Quartalszahlen stimmen müssen. Aber wir alle stehen in diesen Kräften, können uns unser eigenes Beispiel ins Bewusstsein bringen.

Dennoch ist dieser für den sozialen Organismus zerstörerische Prozess in einem gesunden Maße nötig, um die elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Kleidung etc. und die höheren materiellen Bedürfnisse der Einzelmenschen zu befriedigen. Nur so kann Brüderlichkeit erübt werden, ein Dasein für alle, egal ob ich die Nase des Konsumenten mag oder nicht. Das geht nur über diese Opfer, die die Arbeitsteilung mit sich bringt. Aber in Bezug auf den sozialen Organismus kommen durch die Wirtschaft keine jungen, aufbauenden Kräfte hinzu, wie das andererseits bei der Bereicherung durch ein echtes Geistesleben, wie im obigen Beispiel durch die in einer Schule entwickelten Fähigkeiten, der Fall ist. Die Wirtschaft arbeitet nur mit diesen Fähigkeiten, und hätten keine neuen Menschen Raum zur Ausbildung, fände das soziale Leben bald sein Ende, keiner hätte u.a. mehr Fähigkeiten und Ideen, zu produzieren, keine Gemeinschaft könnte mehr das Rechte finden, also gerecht sein. Und dass da heute einige Defizite bestehen, ist ja gerade ein Zeichen dafür, dass zu wenig Verjüngendes aus dem Geistesleben in den sozialen Organismus einströmt und die überlieferten (geistigen) Formen nicht mehr tragen.

Ersichtlich wird daran, dass es eine abstrakte Gleichsetzung von menschlichem und sozialem Organismus gar nicht geben kann, da wir es mit ganz spezifischen Tatsachen zu tun haben, die jeweils aus sich heraus gedacht werden müssen. Das Gemeinsame ist die Polarität, die in beiden Organismen waltet.

Nebenbei bemerkt ergibt sich aus dieser Polarität auch die Unmöglichkeit motorischer Nerven, wie sie von Steiner immer wieder angemahnt und als Blockade für ein soziales Verständnis bezeichnet wurde. Auch da fällt es uns Heutigen schwer, wie zuletzt Axel Ziemke in der Zeitschrift Info3 mit seinem Artikel Steiner hat sich geirrt [2] bewies, organisch statt abstrakt zu denken. Hier schließt sich der Kreis, wenn es um ein lebendiges Denken geht, das die Tatsachen wirklich erfasst.

Davon den Schülern, der Welt und den Schüler zuliebe, eine Anschauung zu ermöglichen, dafür besteht Anschlussbedarf. Dieser Bedarf der Heranwachsenden kann aber nur befriedigt werden, wenn die Lehrer wenigstens anfänglich in diesen lebendigen sozialen Bildern zu Hause sind und ihr Handeln daran orientieren können.

Was das für den Unterricht bedeuten könnte, wenn wir die Erfordernisse der Zeit beachten, hat Johannes Mosmann in dem Büchlein Rudolf Steiner - Wirtschaft und soziale Dreigliederung im Lehrplan der Waldorfschule [3] sehr schön zusammengestellt und eingeleitet.

Anmerkungen:

[1] Rudolf Steiner; GA 328, S.29
[2] Info3 Mai 2013, S.54
[3] zu beziehen beim Institut für soziale Dreigliederung, unter Bestellung