Zieht die Coronavirus-Krise den Schleier vor den Wirtschaft und Gesellschaft im Grunde bedrängenden Problemen weg?

21.04.2020

Zunächst droht der Wirtschaft, den Produzenten und Konsumenten, aufgrund der gesamtgesellschaftlich angeordneten Verhaltensmassnahmen zur Krisenbewältigung Insolvenz. Deswegen müssen einerseits die Geschäftsbanken mittels Krediten die Unternehmen, vor allem die KMU (kleinen und mittleren Unternehmen) solvent halten, dass sie trotz Produktions- und Verkaufseinschränkungen ihre finanziellen Verpflichtungen in Form bezogener Vorleistungen, von Lohnzahlungen und Kapitalbedienung einhalten. Andererseits muss der Staat mittels Bevorschussung oder „à fonds perdu“-Zahlungen die Einkommensstabilität wegen ausfallender Lohnarbeit sichern, um einen gravierenden Konsumeinbruch mit folgenreicher Produktionsschrumpfung zu verhindern. Es geht also darum, das Wirtschaftsleben, Produktion und Konsumtion, mittels Fluten mit Geld vor einem Kollaps zu bewahren. Kollabieren dürfen auch nicht die Aktienbörsen, damit vor allem die aus dem Kapitaldeckungsverfahren zu bezahlenden Altersrenten nicht gefährdet sind.

Jetzt zeigt sich konjunkturell, ja sogar existentiell, was es bedeutet, dass das Geld keinen inneren (intrinsischen) Zusammenhang mit der Produktion hat, wodurch es Mass bzw. Vergleichsgrösse für die gegenseitige Bewertung der Leistungen (Arbeitsergebnisse) und für deren wertmässiges Gleichgewicht mit den Einkommen sein könnte. Deshalb besteht keine Übersicht über die sonst mögliche gegenseitige Zuordnung von Einkommen und bedürfnisbedingt erzeugter, gleichwertiger Leistungen aus der Produktion im Währungsraum oder im Austausch importierter gleichwertiger Leistungen, keine Übersicht, inwieweit die Einkommen durch Leistungen unterlegt bzw. gedeckt wären, was ja der Gradmesser für die wirtschaftliche Stabilität ist. Diese Übersicht ist heute umso nichtiger, als inländische Unternehmen auch im Ausland und somit in anderen Währungsräumen Güter herstellen.

Nun ist es so, dass die Zusammenhanglosigkeit der Geldmenge mit den Verkaufserlösen der Leistungsmenge die Erzielung individuell geldlich ausscheidbarer Kapitalgewinne zu Gunsten der Kapitaleigentümer ermöglicht, aber die Produktion bzw. die absetzbare Leistungsmenge dem Zufall des Marktes ausliefert. Das heisst so viel wie, dass Kapitalgewinne und Löhne, welch letztere aus dem Kapital bezahlt werden, Konjunkturschwankungen unterliegen. Dieses unmittelbar gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis von Leistungserlös und Arbeitseinkommen, das auf die Verteilung der erwirtschafteten Leistungen nach feudalistischer Rechts- und Klassenordnung und deren Vermengung mit der Wirtschaft zurückgeht, führt dazu, dass nicht das Bedürfnis, sondern aus einem eigentumsabhängigen Kapital/Lohn-Verhältnis heraus das Leistungserträgnis zum Initiator des Wirtschaftens wird. Dessen Initiative liegt nun darin, über die Menge des Gütererzeugens und -verbrauchs, ausartend in eine Stoffe aus der Natur und menschliche Arbeit vergeudende Verschleisswirtschaft, sich ein möglichst hohes Kapital-, aber auch Arbeitseinkommen zu verschaffen. Der aus dem Leistungserlös nach Abzug der Lohnkosten verbleibende Überschuss rechnet sich zum Kapital, versteht sich heute als Kapital, aus dem der Lohn bezahlt wird. Damit im Wirtschaftsprozess sich laufend solche Überschüsse als Kapitalrenditen einstellen, ohne auf Konsum schmälerndem Lohndruck zu gründen, muss die Produktion und mit ihr zwecks Absatzes auch der Konsum ständig erweitert werden - also ein absoluter Wachstumszwang. Und die Investitionen für die Produktionserweiterung erfolgen weltweit dort, wo das Rentabilitätsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, letztere gemessen in Lohn, für den Kapitaleigentümer am vorteilhaftesten ist.

Werden diese Investitionen mittels Geldschöpfung in Form von Bankkrediten finanziert, indem eigentlich preisverbilligende Rationalisierungsgewinne industrieller Unternehmen monetisiert, sie aufblähend, in Geld umgewandelt werden, und geht die zusätzliche Geldmenge somit nicht gänzlich in Arbeitseinkommen auf, lässt sich in den Unternehmen individuell geldlich ein Kapitalgewinn ausscheiden. Dadurch dass die Rationalisierungsgewinne in der Industrie monetisiert werden, so dass ein ausscheidbarer Kapitalgewinn entsteht, führen sie nicht zu einer solchen allgemeinen Verbilligung der Industriepreise im Wertevergleich mit den landwirtschaftlichen Preisen, dass die Landwirtschaft preislich nicht, wie das heute der Fall ist, in ein Hintertreffen gerät, das je nach der Grösse der Landwirtschaft im Währungsraum und den Bodenverhältnissen bez. dem natürlichen Reichtum ruinös sein kann.

Was geschieht nun aber, wenn das Bedürfnis nach all den Waren nicht da ist, wenn die Nachfrage nach all den Waren ausbleibt und die Geldflut nicht mehr zu wachstumsfördernden Investitionen führt? Reisst die Corona-Krise nicht den Vorhang vor einem erschreckenden Szenenbild der Zukunft weg, in dem das Wirtschaftlich-Finanzielle anarchisch, das Politisch-Rechtliche als Wirtschaft und Wissenschaft mit Bildung umfassender und lenkender Einheitsstaat autoritär, geradezu diktatorisch erscheinen? Deshalb stellt sich jetzt doch die Frage: Kann die Zukunft der Wirtschaft den überkommenen, gekennzeichneten Vorstellungen und Handhabungen von Geldschöpfung, Kapital- und Arbeitseinkommen überlassen bleiben, Vorstellungen, in denen das wesentliche Problem der Wirtschaft, nämlich der Ausgleich zwischen Bedürfnissen und Wert der Leistungen gar nicht vorkommt?

Zwar haben Naturwissenschaft und Technik in der Wirtschaft zu einer Kapitalbildung geführt, die die Bedeutung des Geisteslebens für die Wirtschaft zeigt und einen neuen Begriff von Kapital erfordert. Aber diese mit der Aufklärung aufgekommene Wissenschaft konzentriert sich auf die aus der Sinneswahrnehmung gewonnenen Objekte der Natur und stellt alle Erfindungen und Entdeckungen dem Zufall des Experimentes anheim; den Begriff „Geist“ klammert sie als Relikt früherer Glaubens- oder Offenbarungswahrheiten aus, wie sie auch mit der Sinneswahrnehmung verbundene Innenerlebnisse des Beobachters negiert. Alles Beobachtete, selbst wenn es sich auf den Beobachter bezieht, erhält den Charakter der Aussenwelt. Den Zusammenhang der Sinnesobjekte stellt sie sich als Druck- und Raumverhältnisse vor. Der Beobachter befindet sich in der Rolle des unbeteiligten Zuschauers von Gegebenheiten, die auch ohne ihn vorhanden sind oder ablaufen.

Kann nun diese Wissenschaft der Wirtschaft, in der der Mensch zwischen Stoff in Form der Natur und Geist in der Erscheinung der die Arbeit organisierenden und lenkenden Intelligenz wirkt, zum Begriff der auf dem menschlichen Bedürfnis beruhenden Wertbildung verhelfen? Aufgrund ihrer kontemplativen Methode kommt sie aus der Beobachtung von Angebot und Nachfrage auf dem Markt, also des reinen Tauschaktes für sich, zur Identität von Preis und Wert der Leistung, aber nicht zu den Ausgangspunkten eigentlicher Wertbildung, dem Bedürfnis und der aus der Naturgrundlage Leistungen erzeugenden Arbeit.

Wie die Wissenschaft den Geist hat die Wirtschaft ihrerseits den Boden bzw. die Naturgrundlage als Basis der Wertbildung aus den Augen verloren.

Und was ist vom Einheitsstaat zu erwarten, dem alle Lösungen aufgebürdet werden? Er wird sich auflösen - es werden sich alle grossen europäischen Einheitsstaaten allmählich auflösen, wahrscheinlich auch noch kleinere -, weil das Rechtliche wesentlich auf dem etablierten System beharrt, das sich jedoch im Niedergang befindet. So wird der Staat durch blosse Geldumverteilung, festhaltend an dem bislang geltenden Kapital/Lohnsystem, versuchen, einer Schrumpfung der Nachfrage und damit der Produktion sowie einer Zunahme der Arbeitslosigkeit entgegenzutreten. Die Macht des Eigentums durch die historisch bedingte Vermengung von Rechtlichem mit Wirtschaftlichem sowie die Macht des Geldes vermittels des Kapital/Lohnsystems stehen vorläufig noch einer Gliederung des Einheitsstaates entgegen, nach welcher die drei Produktionsfaktoren, Natur, Arbeit, Kapital, in ihrer Funktion jeweils einem der drei ineinanderwirkenden, aber sich selbst verwaltenden Gesellschaftsbereiche, Wirtschaft, Recht, Bildung und Wissenschaft, zuzuordnen sind. Die wirtschaftlichen Probleme: Konjunktur, Arbeitslosigkeit, Wachstumszwang sind im Einheitsstaat zu gesamtgesellschaftlichen geworden. Sie sind die Begleiterscheinungen des Kapital/Lohnsystems. Dessen Umwandlung durch die begriffliche Neufassung von Geldschöpfung und Geldfunktion, vom wirtschaftlichem Wert der Leistungen, von Kapital und Eigentum in ein System der Leistungsbewertung, das eine vernunftgemässe Vermittlung von Produktion und Konsumtion ermöglicht, dass der Zufall des Marktes wegfällt, wird angesichts drohender Konflikte immer dringlicher. Der Autor dieser Zeilen hat in einer als „Merkblatt“ bezeichneten Schrift den Versuch unternommen, ein solches, neues System darzulegen.

Was unterscheidet die neu zu fassenden Begriffe von den herkömmlichen? Dass sie den Menschen als denkenden, fühlenden, wollenden sowie handelnden einbeziehen: Die zu emittierende Geldmenge richtet sich nach der Bevölkerungszahl im Währungsraum, denn das Geld wird Index der Zahlenverhältnisse in der gegenseitigen Bewertung der Leistungen. Der Wertbegriff selbst leitet sich vom Bedürfnis ab, das ja Auslöser des Wirtschaftens überhaupt ist. Die Arbeit ist unter zwei Aspekten wertebildend: Einerseits erwirtschaftet sie als körperliche Arbeit Stoffe aus der Natur zum Verbrauch, andererseits wird sie durch Intelligenz organisiert und gelenkt, dass sie Leistungen erzeugt, mit deren Hilfe sie sich von ihrer unmittelbaren Tätigkeit an der Naturgrundlage, am Boden, emanzipiert. Diese Emanzipation hat ihrerseits zwei sich gegenseitig bedingende Aspekte: körperliche Arbeitsersparnis am Boden mittels Ergebnissen geistig gelenkter Arbeit (Rationalisierung), Freistellung von unmittelbarer Bodenbearbeitung für geistige Arbeit infolge dank dieser erwirtschaftetem Leistungsmehr. Der Wert der die Emanzipation ermöglichenden Leistungen bemisst sich in Ergebnissen ersparter körperlicher Arbeit: der neue Kapitalbegriff. Der Wert der gesamten Leistungen entspricht also dem Ergebnis körperlicher Arbeit unmittelbar am Boden, worin existentiell der vom Bedürfnis erteilte und von der Herstellung geforderte Wert zusammenfallen.

Kapital als Ergebnis im Geistesleben ausgebildeter individueller Fähigkeiten wird als Produktionsmittel Eigentum befähigter Individualitäten, zeitlich begrenzt an die Dauer der Fähigkeit: Die Beurteilung der Fähigkeit ein Akt des Geisteslebens, die Eigentumsübertragung ein Akt des Rechtslebens.

Die Arbeit ist wertebildend, hat aber keinen wirtschaftlichen Wert für sich; sie wird durch das Rechtsleben geregelt. Die Arbeitseinkommen sind eine vertragliche Aufteilung der Leistungserlöse.

Die Menschen sind nicht nach Ständen oder Parteien gegliedert; sie wirken in jedem der drei Bereiche: Wirtschaftsleben, Rechtsleben, Geistesleben, die als Systeme ineinanderwirken und die Gesellschaft als Ganzes bilden.

Alexander Caspar
April 2020