Gemeinwohl-Ökonomie

Unter Gemeinwohl-Ökonomie versteht Christian Felber, dass die Unternehmen „vom Gesetzgeber auf das Gemeinwohl verpflichtet und zur Kooperation angereizt werden“ sollen.[1] Christian Felber spricht von einer Umpolung der Wirtschaftspolitik und findet hiermit Anhänger bei Unternehmern, die versuchen, anders zu wirtschaften. Nur lenkt er sie von dem Ziel ab, das Wirtschaftssystem von innen her zu verändern. Christian Felber geht es nicht um eine Umpolung des Wirtschaftssystems zum Gemeinwohl hin. Das Gemeinwohl soll von aussen her in die Wirtschaft hereingetragen werden. Die Bezeichnung Gemeinwohl-Ökonomie trägt selber zur Verwirrung bei. Gemeint ist keine Gemeinwohl-Ökonomie, sondern bloß eine Gemeinwohl-Wirtschaftspolitik. Das würde aber weniger verführerisch klingen.

Zur konkreten Umsetzung dieser Gemeinwohl-Wirtschaftspolitik gehört die Übertragung des abstrakten Prinzips der Schulnoten auf die Wirtschaft. Unternehmen lassen sich zu verschiedenen Aspekten ihres Handelns benoten. Ziel ist eine Gemeinwohl-Bilanz. Um diese Bilanz nicht auf eine noch abstraktere Gesamtdurchschnittsnote zu reduzieren, werden die einzelnen Noten der verschiedenen Aspekte graphisch anschaulich gemacht. Es geht aber letztendlich um die Vergleichbarkeit und damit um ein Prinzip, dass genauso wenig für die Wirtschaft taugt, als es eh für die moderne Bildung taugt. Wer die im Vergleich bessere Noten bekommen hat, dem wird in Aussicht gestellt, bei Subventionen oder Staatsaufträgen bevorzugt zu werden.

Gemeinwohl-Ökonomie und soziale Dreigliederung

Durch das Eingehen auf die Tatsache der weltweiten Arbeitsteilung zeigt Rudolf Steiner, dass Gemeinwohl und Kooperation im modernen Wirtschaftsleben selbst angelegt sind. Diese Anlage zur Gemeinwohl-Ökonomie wird von den bisherigen Staaten konterkariert, die versuchen, die Tatsache der Weltwirtschaft zugunsten ihrer nationalistischen Interessen zu mißbrauchen. Zum Gemeinwohl wird die Weltwirtschaft also erst finden, wenn sie von jeder Wirtschaftspolitik befreit wird und zu sich selbst finden kann. Dies versteht Rudolf Steiner unter demjenigen, war er assoziatives Wirtschaftsleben nennt. Mit dieser echten Gemeinwohl-Ökonomie steht Rudolf Steiner im tiefen Gegensatz zur Gemeinwohl-Wirtschaftspolitik Christian Felbers.

Trotz diesem grundsätzlichen Unterschied zwischen sozialer Dreigliederung und der angeblichen Gemeinwohl-Ökonomie engagieren sich viele für beide. Für die einen liegt es daran, dass sie sich an diejenigen wenden wollen, die sich überhaupt für das Gemeinwohl interessieren. Im Gespräch wollen sie Wege zu einem assoziativen Wirtschaftsleben und damit zu einer echten Gemeinwohl-Ökonomie finden.[2] Für die anderen gilt umgekehrt, dass ihr Verständnis der sozialen Dreigliederung nicht ausreicht, um den grundsätzlichen Unterschied zum Ansatz von Christian Felber zu durchschauen.[3]

Gemeinwohl-Ökonomie und Geldpolitik

In Christian Felbers Anschauungen zur Geldpolitik zeigt sich dasselbe Muster wie in seinen Anschauungen zur Wirtschaftspolitik. Den Fortschritt sieht er in einem zunehmenden Zugriff des Gesetzgebers auf die Geldschöpfung.[4] Demgegenüber betont Rudolf Steiner die Notwendigkeit einer vollständigen Entrechtlichung des Geldes, damit Währungen nicht mehr für nationalistische Interessen mißbraucht werden können.

Sylvain Coiplet

Stand: 11.07.2021

 

Anmerkungen

[1] Christian Felber: Neue Werte für die Wirtschaft, in: Sichtbare Hände - Staatsinterventionismus im Krisenkapitalismus, 2010, Karl Dietz Verlag Berlin, S. 175

[2] Dieser Zielrichtung entspricht ein Referat von Matthias Wiesmann vor einer Berliner Arbeitsgruppe für Gemeinwohl-Ökonomie.

[3] Ein anschauliches Beispiel dafür gab es 2017 beim Netzwerktreffen zur sozialen Dreigliederung in Achberg. Bei der Podiumsdiskussion zwischen Christian Felber als Vertreter der Gemeinwohl-Ökonomie und Gerald Häfner als Vertreter der sozialen Dreigliederung zeigte sich, dass Gerald Häfner unfähig war, seinem Gesprächspartner den Unterschied darzulegen.

[4] Christian Felber: GELD – Die neuen Spielregeln, 2014, Deuticke