Gewinn, Profit, Rente

Eine Kritik an Prof. Wilken

07.11.1959

Quelle
Zeitschrift „Beiträge zur Dreigliederung des sozialen Organismus“
Jahrgang 4, Heft 5-6, Dezember 1959, Seite 7-10
Bibliographische Notiz

(Fortsetzung der Diskussion im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft für Dreigliederung in Stuttgart am 4.10.1959)

In der Aussprache wurde von Herrn Professor Wilken (Freiburg) die Meinung vertreten, daß der „Gewinn“ eines Wirtschaftsbetriebes eine gegebene Tatsache sei, die immer bestehen würde, ganz gleich wie die Wirtschaft auch im Einzelnen gestaltet sei. Er sei gleichsam ein Attribut jeden Wirtschaftens und es komme nur darauf an, ihn sozial richtig zu verteilen. Durch eine rein ökonomische Entwicklung könne der Gewinn niemals zum Verschwinden gebracht werden. Professor Wilkens Ansicht geht dahin, diesen unumgänglich auftretenden Gewinn so aufzugliedern, daß

  1. ein Teil – wie bisher – an den Staat als Gewinnsteuer abgeführt wird,
  2. ein Teil als „Schenkung“ an das freie Geistesleben (Freie kulturelle Einrichtungen) geht und
  3. ein Teil in die Kapitalbildung des Betriebes übergeht, wobei der „Betrieb“ als eine selbständige juristische Person aufgefaßt wird.

Definition I

Unter „Gewinn“ wird der finanzielle Überschuß verstanden, der bei der Jahresbilanz nach Abzug sämtlicher Kosten (Abschreibungen, Instandhaltung und Wartung der Anlagen, allgemeine Betriebskosten sowie Löhne und Gehälter) von den Gesamteinnahmen übrigbleibt.

Definition II

Der Gewinn wird auch Profit genannt.

Definition III

Bei näherer Betrachtung ist der „Gewinn“ eine Funktion der Kapitalrente. Jede Geschäftsleitung ist bestrebt, mindestens einen Gewinn in der Höhe des durchschnittlichen Kapitalzinses für langfristige Anleihen zu erzielen. (Es wäre ja sonst ergiebiger, einen Teil des zur Verfügung stehenden Kapitals anderweitig zu verleihen.) Ist der herausgewirtschaftete Gewinn niedriger als der durchschnittliche Kapitalzins, so spricht man von einem Verlustgeschäft.

Folgerungen:

Satz 1

Interessengegensatz von Gewinn und Lohn

Lohn und Gewinn sind Gegenbegriffe. Da die Sachkosten eines Betriebes bei konsequenter Rationalisierung und ökonomischster Betriebsführung nicht weiter gesenkt werden können, ist jede Betriebsleitung bestrebt, in ihrem Interesse

[Beiträge, Jahrgang 4, Heft 5-6, Seite 7]

(bei Eigenkapital) bezw. im Interesse ihrer Auftraggeber (bei Fremdkapital) Löhne und Gehälter auf jener Höhe zu halten, bei der die Arbeitskräfte gerade noch zur Verfügung stehen, mit dem Ziel, den Gewinn möglichst zu erhöhen.

Umgekehrt sind alle Lohn- und Gehaltsempfänger bestrebt, ihre Arbeitsleistung so teuer wie möglich „zu verkaufen“. Dies ist jedoch nur auf Kosten des Gewinnes (und nur branchenweise und auch hier nur vorübergehend über höhere Preise) möglich. Auf dieser Tatsache und auf nichts anderem beruht der Interessengegensatz: Arbeitgeber – Arbeitnehmer.

Satz 2

Überlegenheit des Unternehmers über den Arbeiter

In der sogenannten kapitalistischen Wirtschaft ist der Arbeitgeber (bezw. der Kapitalbesitzer) gegenüber dem Arbeitnehmer in der überlegeneren Position [1]. Infolge der künstlichen Kapitalknappheit (was sich in einer Knappheit an Arbeitsplätzen äußert) ist der Arbeitnehmer gezwungen, diejenigen Lohnbedingungen zu akzeptieren, die ihm der Arbeitgeber anbietet. Die Angst vor Arbeitslosigkeit erlaubt es dem Arbeitnehmer nicht, seine Lohnforderungen beliebig zu erhöhen. Dem künstlichen Kapitalmonopol stellt die Arbeiterschaft durch gewerkschaftlichen Zusammenschluß ein Arbeitsmonopol entgegen. Sie vermag nun ihrerseits durch Streiks die Arbeit künstlich zu verknappen und so ihren Lohnforderungen mehr Nachdruck zu verleihen.

Die Positionen der „Sozialpartner“ ändern sich sofort, wenn – wie heute – Arbeitskräftemangel natürlicherweise besteht. Die Lohnforderungen der Arbeiter können nunmehr auch ohne Streikandrohung zum Erfolg führen, weil andere Arbeitgeber unter Umständen bereit sind, höhere Löhne zu bieten.

Satz 3

Beschäftigungsgrad und Zinshöhe

Vollbeschäftigung ist genau besehen nur bei einem Zinsstand um 0% auf die Dauer möglich. (Eine noch verbleibende niedrige Zinsmarge ergibt sich aus der Kapitalvermittlungsgebühr und einem freien und stets nur vorübergehenden Kapitalzins bei neuen, besonders ergiebigen Investitionen.) Am Beispiel der jüngsten Diskonterhöhung durch die Bundesbank und ihrer Begründung kann man erkennen, welche Interessen durch die als „überhitzt“ bezeichnete Konjunktur und den hohen Beschäftigungsgrad (bei einem steigenden Auftragsüberhang) bedroht sind. Es hieß typischerweise: das Kapital zeige eine zunehmende Zurückhaltung wegen einer gewissen Zinsunsicherheit. (Bekanntlich war bis zu dem genannten Termin der Zinssatz langsam aber stetig im Fallen begriffen, eine ganz natürliche und notwendige Begleiterscheinung einer gesunden Kapitalbildung und einer auf Vollbeschäftigung hinsteuernden Wirtschaftsentwicklung.)[2] Der sinkende Kapitalzins – bei steigendem Beschäftigungsstand – gefährdet den – Gewinn.

[Beiträge, Jahrgang 4, Heft 5-6, Seite 8]

Höhere Löhne und Gehälter können – beim Wettbewerb um die immer knapper werdenden Arbeitskräfte – nur von jenen Betrieben bezahlt werden, die bereit sind, auf einen entsprechenden Teil ihres Gewinns (Kapitalrente) zu verzichten.

Satz 4

Überwindung des Gegensatzes:

Arbeitgeber – Arbeitnehmer

Der Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird überwunden, wenn der Gegensatz: Lohn – Gewinn verschwindet. In der Bilanz erscheinen dann nur noch die reinen Sachkosten auf der einen Seite und der Arbeitsertrag auf der anderen Seite. Die Aufschlüsselung des gemeinsamen Arbeitsertrages ist eine Frage der Einzel-Gesellschaftsverträge, d.h. eine Frage der freien Übereinkunft.[1]

Hierzu einige Zitate Rudolf Steiners:

[1]

„Ein freier Gesellschafter wird der Handarbeiter dem geistigen Leiter seines Betriebes sein können, weil nur die aus der Wirtschaftsgrundlage heraus sich ergebende Aufteilung des gemeinsam Erarbeiteten wird in Betracht kommen können und nicht ein wirtschaftlicher Zwang, der durch die wirtschaftlich bessere Lage des Arbeitsleiters hervorgerufen wird.

Die assoziative Gliederung des Wirtschaftskörpers wird den Handarbeiter in Zusammenhänge des Lebens bringen, welche in sein Vertragsverhältnis zum geistigen Arbeitsleiter ganz andere Gesichtspunkte bringen werden als seine gegenwärtige Stellung, die ihn nicht zum Teilnehmer des Produktionsergebnisses, sondern zum Kämpfer gegen die Interessen seines Unternehmers macht [...] Das kann sich nicht ergeben in einem Wirtschaftsleben, dessen Impuls die Rentabilität des Kapitalbesitzes ist, sondern allein in einem solchen, das die Werte der Erzeugnisse aus den sich ausgleichenden Konsum- und Produktionsverhältnissen der sozialen Gemeinsamkeit regeln kann.“

(Rudolf Steiner: Die soziale Zukunft, „Die Dreigliederung des sozialen Organismus, die Demokratie und der Sozialismus“, inzwischen in GA 24, 2. Auflage 1982, S.213-214)

 

[2]

„Das Kapital hat die Tendenz, fortwährend in seinem volkswirtschaftlichen Werte oder eigentlich Preise (Zins, der Verfasser) zu sinken, die Bodenrente hat die Tendenz, fortwährend in ihrem Preise zu steigen.“

(Rudolf Steiner: Nationalökonomischer Kurs, 7. Vortrag, 30.07.1922, Dornach: inzwischen in GA 340, 5. Auflage 1979, S.102-103)

„Die Rentner sind einfach der Beweis, daß der soziale Organismus ungesund ist, sie sind der Beweis, wie alle Müßiggänger, wie alle diejenigen, die nicht selber arbeiten, sondern zu ihrem Unterhalt die Arbeit anderer benützen können.“

(Rudolf Steiner: Vortrag für Arbeiter der Daimler-Werke, 26.04.1919, Stuttgart: inzwischen in GA 330, 2. Auflage 1983, S.84)

[Beiträge, Jahrgang 4, Heft 5-6, Seite 9]

„Es gibt heute etwas höchst Unnatürliches in der sozialen Ordnung. Das besteht darin, daß: das Geld sich vermehrt, wenn man es bloß hat. Man legt es auf eine Bank und bekommt Zinsen. Das ist das Unnatürlichste, was es geben kann. Es ist eigentlich ein bloßer Unsinn. Man tut garnichts, man legt sein Geld auf die Bank, das man vielleicht auch nicht erarbeitet, sondern ererbt hat, und bekommt Zinsen dafür. Das ist ein völliger Unsinn.“

(Rudolf Steiner: In geänderter Zeitlage, 2. Vortrag, 30.11.1918, Dornach: inzwischen in GA 186, 3. Auflage 1990, S.50-51)

„Sie wissen ja, daß es Zeiten gegeben hat, in denen das Zinsnehmen für Geliehenes als unmoralisch galt. Und es galt nur als moralisch, zinslos zu leihen.“

(Rudolf Steiner: Nationalökonomischer Kurs, 10. Vortrag, 02.08.1922, Dornach: inzwischen in GA 340, 5. Auflage 1979, S.146)

Zusammenfassung

Es sollte gezeigt werden, daß der Begriff „Gewinn“ ein Krankheitssymptom des sogenannten Rentenkapitals ist.

Ein Gewinn kann nur erzielt werden – gegen die Interessen der Arbeitnehmerschaft –, wenn Kapital (Produktionsmittel, Arbeitsplätze) künstlich knapp gehalten werden. Daß dies weiterhin so sein müßte, dafür bestehen überhaupt keine Gründe, es seien denn die Renteninteressen des Kapitals ein sozial berechtigtes Anliegen. Eine gesunde Wirtschaftsentwicklung kann abgelesen werden an Vollbeschäftigung ohne Dirigismus bei sinkendem Kapitalzins und steigenden Arbeitseinkommen. Welche Rolle dabei eine funktionsfähige Währung spielt, muß einer weiteren Diskussion überlassen bleiben.

[Beiträge, Jahrgang 4, Heft 5-6, Seite 10]