Nach der Finanzkrise - Bausteine für die Zukunft

01.07.2010

Über die Ursachen der Finanzkrise 2008 haben wir inzwischen viel erfahren. Zusammengefasst: ungeregelte Finanzströme, zuviel Spekulation, zuviel Kredit einerseits, zuviel Verschuldung andererseits. Wo stehen wir heute?

Einige Schlagworte aus einem Spiegel-Artikel (vom 23.11.09) mit dem Titel „Die Billionen-Bombe“ reichen aus, die Situation zu beschreiben: Geld der Zentralbanken und Regierungen überflutet die Märkte, exzessive Ausweitung der Geldmenge, Finanzelite scheffelt Milliarden, so billig war das Schuldenmachen und Spekulieren noch nie, unkontrollierte Exzesse der Geldwirtschaft, zu viele Leute gehen zu hohe Risiken ein, Turbo- und Kasino-Kapitalismus, die neuen Verkäufer hochriskanter Papiere sind die alten, ungebremst wächst die neue Spekulationsblase, Oligopol aus Politikern und Banken, Wahnsinn 2.0. Inzwischen ist noch die Schuldenkrise Griechenlands und die Euro-Krise hinzugekommen. Die europäischen Staaten und der Internationale Währungsfonds mussten massiv eingreifen, um diese Krisen abzuwehren.

Die Situation in einem Satz zusammengefasst: Nach der Krise ist vor der Krise! Alle Beteuerungen der Politiker, die Banken müssten an die Kandare genommen werden, wurden nicht wirksam verwirklicht. Es gibt keine Regulierung der Finanzströme, keine umfassendere Bankenaufsicht, keine hinreichende Begrenzung des Kreditschöpfungspotentials der Zentral- und Geschäftsbanken, kein Verbot gefährlicher Derivate (außer dem Handelsverbot von bestimmten Leerverkäufen in Deutschland), keine Zerschlagung der Steueroasen. Und trotz der Geldschwemme sitzen viele Unternehmen in der Kreditklemme, denn die Finanzwelt hat nur noch marginal etwas mit der realen Wirtschaft zu tun. Hat der Countdown zur nächsten Krisebegonnen, wie die Financial Times im November 2009 meinte? Warum handeln unsere Politiker nicht?

Die Macht der Korporatokratie

Seit Ende des vorletzten Jahrhunderts gibt es eine Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft. Schon die Kolonialmächte standen im Wettbewerb um die Gewinnung und Beherrschung von Rohstoffquellen und Absatzmärkten. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil, Politik und Wirtschaft haben noch einen mächtigen Partner hinzu gewonnen: die Banken. John Perkins (Ich war ein Economic Hit Man, Weltmacht ohne Skrupel) nennt das Dreigestirn von Konzernen, Banken und Regierungen die Herrschaft der Korporatokratie. Besonders in den USA ist eine auffällige Verflechtung von Großbanken und Konzernen mit der Politik zu beobachten: Führungskräfte wechseln hin und her. Seit dem zweiten Weltkrieg hat sich die Korporatokratie durch Bündnispolitik zum Welt beherrschenden Faktor entwickelt. Wo Politiker von Entwicklungsländern Bündnisse nicht freiwillig eingehen, Bestechungen nicht annehmen, Drohungen missachten, schreckt man vor Umsturz und militärischer Intervention nicht zurück (Iran, Panama, Irak, Afghanistan). So kommt es, dass viele Entwicklungsländer in die Verschuldung gezwungen und damit in die Abhängigkeit der Korporatokratie gebracht wurden. Die weltweit arbeitenden Konzerne und Banken lösen Krisen und Kriege aus, weil sie auch dadurch gewinnen (Jean Ziegler: Das Imperium der Schande). Jean Ziegler nennt die international operierenden Konzerne und Banken die Kosmokraten, die Herren des Imperiums der Schande. Den Industrienationen geht es mittlerweile wie den Entwicklungsländern; siesind hoch verschuldet. Die Bürger werden die Suppe auszulöffeln haben, die ihnen die Korporatokratie eingebrockt hat. Welche Regierung wird es wagen durch strengere Regeln die Gewinnmöglichkeiten der Banker zu beschneiden?

Regulierte Finanzwirtschaft

Gibt es Länder auf der Welt, die dem Finanzsektor rechtzeitig Zügel angelegt haben, die deshalb weniger von der Finanzkrise betroffen sind und beispielgebend für die Zukunft sein können?

Es fallen die Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China (BRIC-Staaten) auf. Nur China hatte die finanziellen Mittel, die Rettungspakete der 20 größten Nationen (1,5 Billionen Dollar) zu finanzieren. Brasilien hat alle Auslandsschulden zurückgezahlt und ist mit über 200 Milliarden Dollar Guthaben sogar Gläubiger des Weltwährungsfonds. Indien tauschte kürzlich einen größeren Dollar-Betrag in Gold um, weil der Dollar der indischen Zentralbank als Weltreservewährung zu weichwird, denn die USA sind der Welt größter Schuldner und zahlen mit selbst gedruckten Dollars. Diese Staaten haben kein Vertrauen in die Selbstheilungskräfte des Marktes. Die kommunistischen Länder kennen das Primat des Staates schon seit ihrer Gründung. Sie haben nicht davon gelassen, auch wenn sie marktwirtschaftliche Elementein ihre Systeme aufgenommen haben. Brasiliens Präsident Lula da Silva siehtdie Politik als Gestalter einer neuen Ordnung: Der Staat muss dem Markt Rahmenbedingungen, Regeln und Grenzen vorgeben. Auch um Armutsbekämpfung und eine gerechte Einkommensverteilung hat er sich zu kümmern. So konnte Brasilien die Finanzkrise besser meistern, weil man rechtzeitig gegengesteuert habe (Der Spiegel Nr. 48/ 2009). Das Finanzmodell der Zukunft mussalsoheißen: regulierte Finanzwirtschaft.

Zukunftsmodelle

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit es weder zu Systemkrisen noch zu Geldschwemmen oder zu Kreditklemmen–Begriffe aus ein und demselben Jahr (2009)! - mit gefährlichen Folgen für Staat, Wirtschaft und Verbraucher kommt?

Rudolf Steiner zeigte in seinen Vorträgen vor Studenten der Volkswirtschaftslehre 1922 (siehe hier) drei Bedingungen auf: Geld muss gezähmt werden, es muss fließen und die Menschen und Unternehmen erreichen, die es brauchen, und es muss altern können. So unterscheidet er drei Geldqualitäten:

  • Kaufgeld - damit wir die Güter und Dienstleistungen bezahlen können, die wir zum Leben brauchen. Rudolf Steiner nennt dieses Geld auch „junges Geld“.
  • Leihgeld - das die Unternehmer und Konsumenten für Investitionen brauchen.
  • Schenkungsgeld - Geld, das überflüssig ist, das nicht zum Kaufen oder für Investitionen gebraucht wird. Rudolf Steiner nennt dieses Geld auch „altes Geld“. Es wird zu jungem Geld, wenn es dem Geistesleben zufließt, weil es dort zu Kaufgeld wird. Besonders wichtig ist der Satz: „Leihgeld muss nach und nach ganz in Schenkungsgeld übergehen.“ Das kann z.B. dadurch geschehen, dass Branchen-Assoziationendie Kreditinstitute beraten, wem Geld zu leihen und zu schenken ist. Dadurch kommt Vernunft in die Finanzwirtschaft (Nationalökonomischer Kurs, 12. Vortrag).

In den Kernpunkten der sozialen Frage (1919) hatte Rudolf Steiner schon von der Unmöglichkeit des Zinseszinses gesprochen. Harald Spehl und Christoph Strawe zeigen in ihrem Artikel Wirtschafts- und Finanzkrise – und kein Ende? (Sozialimpulse Nr. 3/ 2009), was jetzt zu tun ist. Ich fasse zusammen:

  • Die wichtigste Funktion des Geldes, nämlich als Tauschmittel zu dienen, muss wieder in den Mittelpunkt rücken.
  • Banken müssen sich auf ihre Aufgabe als Mittler zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern konzentrieren.
  • Scheinmärkte, wo es nicht um reproduzierbare Güter geht (Kapital-, Boden-, Arbeitsmarkt), müssen in den Blick genommen werden.

Welche Erkenntnisse bietet die neuere anthroposophische Forschung zur Zähmung des Geldes? Ich greife einige Autoren beispielhaft heraus:

Wilhelm Schmundt hat dargelegt in Der soziale Organismus in seiner Freiheitsgestalt, Dornach/Schweiz 1968, wie man sich eine Geldverwaltung und Geldsteuerung vorstellen kann, damit Wirtschaft, Staat und Geistesleben, die drei Funktionsbereiche jeder Nation, ausreichend mit Kapital und Geld versorgt werden und wie Geld ohne Wertbeziehung nach dem Kaufvorgang vom Bankensystem abgesaugt werden muss, damit Inflationen vermieden werden und das Vertrauen in das gesetzliche Zahlungsmittel erhalten bleibt.

Zwischenbemerkung des Autors: Gegenwärtig gibt es drei Geldschöpfungsmöglichkeiten durch die Zentralbanken (ZB):

  1. Ankauf von Wechseln oder anderen befristeten Rückzahlungsverpflichtungen der Unternehmen
  2. Ankauf von Zahlungsverpflichtungen (Obligationen) fremder Staaten und des eigenenStaates (Bund, Länder, Gemeinden)
  3. Ankauf ausländischer Zahlungsmittel (Devisen).

Die Geschäftsbanken (GB) nutzen ebenfalls die genannten drei Elemente der Geldschöpfung, haben darüber hinaus aber noch die Möglichkeit, dinglich gesicherte Kredite oder Personalkredite zu gewähren. Aufgabe der ZB ist es dafür zu sorgen, dass die Geldmenge im Gleichgewicht ist mit der angebotenen Waren- bzw. Dienstleistungsmenge. Zuwenig Geld bedeutet Stagnation/ Deflation, zuviel Geld bedeutet Inflation. Inflationen (Geldentwertungen) begegnen die ZB - und anschließend auch die GB - üblicherweise mit Zinserhöhungen und Kreditrestriktionen, was meist zum Rückgang der Investitionsbereitschaft seitens der Unternehmen und zur Kaufbereitschaft seitens der Verbraucher unddadurch zum Ansteigen der Arbeitslosigkeit und zu Wirtschaftskrisen führt. Um Wirtschaftskrisen auszuschließen, so Schmundt, darf Geld nicht losgelöst von den Wirtschaftswerten betrachtet und gehandhabt werden; es ist schließlich mehr als ein Zahlungsmittel. Abstrakt gesehen ist es Wertmesser für Waren und Dienstleistungen, konkret betrachtet ist es Wertträger, solange es durch die Adern der Wirtschaft strömt. Es wird wertlos und muss aus dem Zirkulationsprozess herausgezogen werden, wenn es seine Aufgaben erfüllthat. Schmundt unterscheidet drei Geldströme:

  1. Unternehmerkapital (Geld in Synthese mit Fähigkeiten)
  2. Konsumkapital: (Geld in Synthese mit Kauf-und Verkaufvorgängen von Waren und Dienstleistungen)
  3. Geld ohne Wertbeziehung im Rückfluss (Abzahlung von gewährten Krediten)

Damit diese Geldströme richtig fließen, empfiehlt Schmundt ein viergegliedertes Bankensystem mit unterschiedlichen Aufgaben:

  • a) Die Zentralbank zur Vergabe von Unternehmerkapital - Kapital wird an Menschen mit Fähigkeiten gegeben, eine Unternehmung zu führen.
  • b) Investitionsbanken zur Vergabe von Krediten und Subventionen - Kredit wird nach Absprache mit den Assoziationen an Unternehmen und Einrichtungen vergeben, die Waren erzeugen oder Dienstleistungen bereitstellen.
  • c) Spar- und Darlehensbanken für Konsumenten und Kleingewerbetreibende für die Bankgeschäfte des täglichen Lebens
  • d) Außenhandelsbanken - Die Zentralbank soll von der Ankaufspflicht von Devisen befreit werden, um importierte Inflationen zu vermeiden; alle Währungstauschvorgänge werden über die Außenhandelsbanken abgewickelt.

Die Ursachen der gegenwärtigen Finanzkrise finden wir im Verhalten der Banken; hier ist der wunde Punkt unserer Finanzwirtschaft. Die Banken machen mit den zurückfließenden Krediten, dem „Geld ohne Wertbeziehung“ (Schmundt), was Sie wollen -völlig autonom, ohne Absprache mit irgendjemand. Sie verwenden es für Spekulationsgeschäfte, um mit Geld noch mehr Geld zu machen - mit verheerenden Folgen für den gesamten sozialen Organismus.

Udo Herrmannstorfer zeigt in seinem Buch Scheinmarktwirtschaft – Die Unverkäuflichkeit von Arbeit, Boden und Kapital, Stuttgart 1991, wie zur Aufzinsung eine Abzinsung gestellt werden sollte, damit einer unbegrenzten Geldvermehrung durch Geld Einhalt geboten wird. Denn auch er sieht in dem fehlenden Abfluss des „alten Geldes“, das Problem unseres geldwirtschaftlichen Systems. Der Rückfluss von Geld funktioniert zwar über Zins und Tilgung an die Banken, aber der Abfluss ist nicht vorhanden. Er schlägt vor, alles überflüssige Geld mit einem Abzinsungsfaktor zu belegen. Bei einer Abzinsung von z.B. 5% pro Jahr, wäre Spargeld nach 20 Jahren verschwunden. Wird Sparkapital Unternehmen für Anschaffungen und Investitionen zur Verfügung gestellt und man erhielte einen Zins von z.B. jährlich 5%, dann hätte man weder Kapitalgewinn noch Kapitalverlust.

Damit der Abzinsung unterworfenes Kapital nicht in Immobilien abwandert, so Herrmannstorfer, ist zeitgleich oder vorher eine Bodenrechtsreform durchzuführen, die das Eigentum an Boden gegen volle Entschädigung aufhebt und an dessen Stelle ein Nutzungsrecht setzt, denn Boden ist Gemeingut.

Ergänzung durch den Verfasser: Natürlich müssten gewisse derzeitige Börsenspekulationsmöglichkeiten verboten, reglementiert und/ oder besteuert werden, damit eine etwaige Realisierung von Herrmannstorfers Vorschlag der Abzinsung nicht ins Leere liefe.

Michael Rist gibt in seinem Artikel Wirtschafts-Öko-und Kulturkrise an, wie man weltweit die richtige Höhe der Neugeldschöpfung ermitteln könnte (erschienen in Sozialimpulse 4/09). Damit Geld gegenüber verderblichen Waren nicht ein unlauterer Konkurrent bleibe, müssten dieAbschreibungen auf Waren/ Investitionsgüter und die Neuschöpfung von Geld einander entsprechen. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird neben dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) in jeder Volkswirtschaft ermittelt, wie hoch der Abschreibungsbetrag des vergangenen Jahres war. Zum Beispiel belief sich das BIP Deutschlands 2007 auf etwa 2,423 Billionen und die Abschreibungen auf etwa 359 Milliarden Euro. Das heißt, die Abschreibungen auf Sachwerte betrugen aufgerundet 15 Prozent des BIP. Das bedeute, so Rist, die jährliche Neugeldschöpfung durch die Zentralbank müsse sich an diesem Prozentsatz orientieren.

Ergänzung durch den Verfasser: Die Federal Reserve Bank of America (FED) verdoppelte im Krisenjahr 2008 die umlaufende Geldmenge (Quelle: Der Spiegel Nr. 48 vom 23.11.09). Das bedeutet Inflationsgefahr!

Wie ist eine Systemänderung möglich?

Im Oktober 2009, nach den gewaltigen staatlichen Zuschüssen, die nötig waren, um den deutschen Rückversicherer Hypo Real Estate (HRE) in der Finanzkrise zu retten, hat die Achberger Kooperative beim Deutschen Bundestag eine Petition eingereicht, in der vorgeschlagen wird, die HRE in eine gemeinnützige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit erweiterten Aufgaben zu überführen. Sie solle im Modellversuch zur Vermeidung von Kreditklemmen insbesondere im Mittelstand zinsgünstige Kredite vergeben. Die Kreditvergabe soll nicht gegen Hinterlegung von Wertpapieren erfolgen, die der Kreditsuchende ja oft gar nicht oder nicht in ausreichender Menge hat, sondern gegen akzeptierte Wechsel. HRE solle sich nicht bei gewinnorientierten Privatanlegern refinanzieren, sondern zinslose Kredite der Bundesbank erhalten. (Sozialimpulse, Heft Nr. 3/09 und Nr. 1/10). Das wäre ein Schritt in die Richtung, die Wilhelm Schmundt (siehe oben) gewiesen hat.

Wir müssen unsere Zukunft selber gestalten

Durch die Verflechtung mit oder Abhängigkeit unserer Politiker von Konzernen und Banken ist derzeit nicht auf grundlegende Änderungen, wie hier vorgeschlagen, zu hoffen. Der Souverän der Demokratie, der Bürger, muss endlich selbst nach seinen Erkenntnissen handeln können. Das Institut für Sozialforschung und Zeitgeschichtein Achberg und die Initiative Mehr Demokratie in Berlin präsentieren seit Jahrzehnten praktikable Vorschläge für eine dreistufige Volksgesetzgebung (Gesetzesinitiative von Bürgern, Volksbegehren, Volksentscheid), die nicht die parlamentarische Gesetzgebung aufheben sondern ergänzen soll, damit der Souverän wichtigsteAngelegenheiten selbst in die Hand nehmen kann. Auf Länderebene ist man diesem Vorschlag in Deutschland gefolgt, auf Bundes-und Europaebene blockieren zu viele konservative Politiker noch immer die direkte Demokratie. Mehr Info: www.volksgesetzgebung-jetzt.de, www.mehr-demokratie.de.

Wilfried Heidt vom Institut für Sozialforschung und Zeitgeschichte meint, wir beobachten derzeit den Todeskampf des Finanzkapitalismus. Zusammen mit anderen Persönlichkeiten (Hardorp, Opielka, Rösch, Schliffka, Schuster) hatte er 2006 einen „Dritten Weg“ nach Kommunismus und Kapitalismus für Europa aufgezeigt (Für eine Welt nach Maß des Menschen – Die Alternative zur neoliberal dominierten Gesellschaft ist notwendig und möglich). Dort beschreibt er, wie die viergegliederte Grundstruktur des „gemeinsamen Hauses Europa“ organisiert sein müsste, um auf der Höhe der Zeit zu sein und Krisen entgegenzuwirken.

In seinem Buch Die Chance der Befreiung führte er bereits 2002 aus, dass Änderungen nur auf evolutionärem Wege herbeigeführt werden sollten, wenn man nicht noch größeren Schaden anrichten wolle als durch das herrschende System schon entstanden sei. Revolutionen seien immer erfolglos geblieben. Man müsse dem Vorschlag Schillers folgen und das Neue neben das Alte stellen. Nur das gute Beispiel könne überzeugen. Wen? Den Souverän, alle Bürger eines Landes. Denn sie sind es, die der Zeit gemäß die Änderung ihrer Verhältnisse in demokratischen Verfahren – also durch parlamentarische Gesetzgebung und Volksgesetzgebung – herbeizuführen haben. Auf der Webseite www.volksgesetzgebung-jetzt.de wird gezeigt, wie das möglich ist. Außerdem ist dort alles zubereitet, was jetzt zu ändern wäre (Der große Ratschlag).

Wir haben eine pädagogische Aufgabe ersten Ranges

Rudolf Steiner erkannte 1922: „Es hat sich unsere Volkswirtschaftswissenschaft so entwickelt, dass sie nicht mitgemacht hat in ihren Anschauungen dasjenige, was sich vollzogen hat von der Tauschwirtschaft zur Geldwirtschaft und zu der Fähigkeitenwirtschaft.“ (Nationalökonomischer Kurs, am Ende des 8. Vortrages) Das heißt, die Geldbegriffe aus der Tauschwirtschaft müssen ergänzt werden durch solche, die geistgemäß der Industriegesellschaft entsprechen, damit die heutige Finanzwirtschaft verstanden, ins rechte gedacht und gebracht werden kann. Das ist eine pädagogische Aufgabe ersten Ranges! Erst wenn geistgegründete Begriffe Einlass in das Denken einer genügend großen Anzahl von Menschen gefunden haben, kann man sicher sein, dass die Kraft der Ideen auch zu den richtigen Taten führen werden, denn wir können nur das vollbringen, was wir denken können. Alles ist heute zuerst eine Frage des Bewusstseins. Zu den Aufgaben der Pädagogen an Schulen, Hochschulen und Instituten gehört auch die Ankoppelung der Finanzwirtschaft an ethische Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit. Diese Aufgaben sind von einer Reihe von Persönlichkeiten und Instituten ergriffen worden. Ich nenne beispielhaft die folgenden:

Das Institut für soziale Gegenwartsfragen e.V. Stuttgart in Verbindung mit dem Institut für zeitgemäße Wirtschafts- und Sozialgestaltung Dornach/CH, verantwortlich Udo Herrmannstorfer (Dornach), Mag. Friedrich Platzer (Wien), Dr. Michael Ross(Berlin), Prof. Dr. Christoph Strawe (Stuttgart), Prof. Dr. Harald Spehl (Trier/Mainz), widmet sich seit Jahrzehnten der Forschung auf sozial-wirtschaftlichem Felde undbietet Vortragsreihen, Seminare und berufsbegleitende Studiengänge an, z.B. Studiengang „Sozialentwicklung - soziale Dreigliederung als Weg zumVerständnis sozialer Prozesse“. Mehr Info: www.sozialimpulse.de

Das Internationale Kulturzentrum Achberg widmet sich ebenfalls seit Jahrzehnten Forschungen zur Zeitgeschichte, Dreigliederungsentwicklung und sozialen Architektur. In Seminaren und auf Tagungen werden die Forschungsergebnisse diskutiert und in Schriften veröffentlicht. Im August 2010 steht angesichts des Bündels der gegenwärtigen Zivilisationskrisen und ihrer gesellschaftlichen Konsequenzen für Politik, Wirtschaft, Finanzwesen und Kultur eine Aktualisierung des Steinerschen Dreigliederungsimpulses im Zentrum der Arbeit mit der Perspektive einer »Neuen Sozialen Architektur« im Blick auf das Projekt »Dekadebis 1919 - 100 Jahre Dreigliederungsimpuls und seine Mission in der Gegenwart und nächsten Zukunft.« Mehr Info: www.wilfried-heidt.de

Kürzlich ist in Berlin das Institut für soziale Dreigliederung gegründet worden. Es will alle Menschen verbinden, die an den Ideen zur Dreigliederung des sozialen Organismus Rudolf Steiners arbeiten. Auf der Webseite des Instituts findet man Stichworte, Texte und Schriften zum Themenbereich Dreigliederung ebenso wie Referenten und Initiativen. Mehr Info: www.dreigliederung.de

Die Forschungen des Institute for Social Banking (ISB) sind darauf gerichtet, Probleme und Erfolge aus der Praxis des sozialen Bankwesens zu untersuchen, um das Lernen der Praktiker zu unterstützen und bewährte Methoden zu verbreiten. Hinter diesem Institut stehen elf nachhaltig arbeitende Banken in Europa – die GLS Bank, die Triodos Bank und die Hannoverschen Kassen gehören dazu – und die Edith Maryon Stiftung. Man will zum Paradigmenwechsel beitragen, indem immer mehr Menschen das Geld-, Bank- und Versicherungswesen in einem ethischen und sozial-ökologischen Sinne neu begreifen. Dazu werden Seminare, ein Masterstudiengang in Bochum und eine Summer School (2010 in Florenz) angeboten. Diese Angebote richten sich an interessierte MitarbeiterInnen von „alternativen“ und „traditionellen“ Banken und anderen Finanzinstituten, an AbsolventInnen von wirtschafts-und bankwissenschaftlichen Studiengängen, aber auch an Interessierte aus anderen Arbeitsbereichen. Mehr Info: www.social-banking.org

Welche praktischen Alternativen zum traditionellen Geldwesen gibt es?

Rudolf Steiner ordnete die Ideale der französischen Revolution den drei Funktionsbereichen des gesellschaftlichen Organismus zu: Freiheit müsse herrschen im Geistesleben (Kulturbereich), Gleichheit im Rechtsleben (Politik und Rechtsprechung) und Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben (durch assoziative Zusammenarbeit aller am Wirtschaftsleben Beteiligten: Produzenten, Händler, Konsumenten). Jacques Attali meint in seinem Buch Brüderlichkeit –eine notwendige Utopie im Zeitalter der Globalisierung, Stuttgart 2003, ohne die Brüderlichkeit wird das Überleben bald mit Sicherheit unmöglich werden und nur durch sie, würden Freiheit und Gleichheit kompatibel, d.h. gleichzeitig möglich. Nur sie ermögliche ein effizientes Funktionieren von Demokratie und Markt. Eine brüderliche Finanzwirtschaft sei heute keine Utopie mehr. Sie werde immer dort Wirklichkeit, wo Menschen an Menschen glauben und ihnen Kredit gewähren (credere = glauben) - nicht wegen des Zinses, den sie dafür erhalten, sondern, damit die Kreditnehmer sinnvolle Projekte verwirklichen können. Viele Menschen verstündenauch: Der Erfolg des anderen ist unbedingt erforderlich für meine eigene Existenz, denn ich bin von allen anderen abhängig.

Immer mehr Menschen erkennen auch die Notwendigkeit des Moralischen in der Finanzwirtschaft und gründen Organisationen zur Verwirklichung dieser Erkenntnis. Sie sind die „lebendigen Bausteine“ der Zukunft (ein Begriff Rudolf Steiners im Vortrag vom 1.10.1911 in Basel). Sinnvolle Organisationsformen für Kredit und Schenkungen vermittelnde Institutionen in diesem Sinne sind z.B. Stiftungen, Genossenschaften oder gemeinnützige Vereine. Ich nenne folgende Beispiele:

Die Global Alliance for Banking on Values (GABV), ist ein weltweites Netzwerk vonelf nachhaltig arbeitenden Banken - die GLS Bank und die Triodos Bank gehören dazu - das sich vorgenommen hat, Einfluss auf das Finanzgeschehen zunehmen. Das Bündnis in der Rechtsform einer Stiftung will u. a. Vorschläge für eine Neuordnung des Finanzmarktrahmens machen. Dazu wurde beim Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Studie in Auftrag gegeben, die neben den Ursachen der Finanzkrise die Konzepte und Arbeitsweisen der Mitgliedsbanken analysieren und daraus übergeordnete Grundsätze ableiten soll.

Durch die GABV werden Gelder für die nachhaltige Entwicklung von unterversorgten Menschen, Gemeinschaften und die Umwelt bereitgestellt. Im Oktober 2009 kündigte die Allianz an, insgesamt 2 Milliarden US$ dafür einzusetzen. Bisher werden sieben Millionen Kunden in zwanzig Ländern betreut. Bis 2020 sollen eine Milliarde Menschen mit nachhaltigen Bankleistungen erreicht und der Einfluss auf die etablierte Finanzwelt stark ausgeweitet werden. Mehr Info: www.gabv.org

Die GLS Bank, größte Ethik-Bank in Deutschland, erlebte nach der Finanzkrise 2008 den größten Boom in ihrer 35-jährigen Geschichte, weil sie sich nicht nur sozial und ökologisch engagiert sondern auch nur ökonomisch vertretbare Geschäfte macht. Als einzige Bank macht sie transparent, wo sie was finanziert. Ziel ist nicht die Gewinnmaximierung – sie schüttet keine Gewinne aus - sondern Menschen mit Ideen zu helfen, ihre Projekte mit Zukunftscharakter zu verwirklichen. Für ihre Anleger soll sich neben der monetären Rendite auch eine Sinnrendite ergeben. Diese können selber bestimmen, in welche Bereiche Ihr Geld fließen soll und erfahren in der Kundenzeitschrift Bankspiegel regelmäßig, welche Projekte finanziert wurden. Spekulationen sind für die gemeinnützige Bank tabu; das Kreditschöpfungspotential ist mit 1:12,5 sinnvoll begrenzt, d.h. mit 100 € Eigenkapital können nur 1.250 € Kredit vergeben werden.

Weltweit kaufen große Investoren riesige Flächen zur Industrialisierung der Landwirtschaft und zunehmend auch zum Zwecke der Spekulation auf. Die Konsequenzen für die Kleinbauern sind katastrophal. Die GLS Bank finanziert seit Jahrzehnten die ökologische Landwirtschaft vor allem in Deutschland, aber auch in Südamerika und Afrika. Sie hat sich am Kauf vieler Höfe beteiligt, deren Land teilweise in gemeinnütziges Eigentum überführt wurde. Aktuell legt sie einen Fonds für ökologischen Landbau auf, um die Idee des Gemeineigentums an Boden zu fördern und weiterzuentwickeln – ganz im Sinne von Udo Herrmannstorfer (siehe oben). Die problematischen Entwicklungen weltweit können allerdings nur durch internationale Regeln gestoppt werden, aber die Projekte der GLS Bank können dafür beispielgebend sein.

Die GLS Bank ist von ihrem Gründungsimpuls her eine „Bank von Menschen für Menschen“ - auch für diejenigen, die gemeinhin als nicht kreditwürdig eingestuft werden. So begann sie im Jahr 2000, die Vergabe von Mikrokrediten in Deutschland zu erproben. Das Ergebnis: Auch in einem Industriestaat sind Mikrokredite ein äußerst effektives Instrument, individuelles Engagement zu fördern. Mit einem Durchschnittsbetrag von 6.500 Euro werden etwa 1,5 Arbeitsplätze pro Mikrokredit geschaffen oder erhalten. Die Ausfallquote betrug 2009 nur 2,8 Prozent, obwohl die Kreditnehmer gemeinhin als „nicht bankfähig“ eingestuft wurden. Der Kreditsuchende soll seine Geschäftsidee in seinem Umfeld besprechen – sowohl in der Gründungsphase als auch während der Kreditlaufzeit. Mikrokreditinstitute und auch die GLS Bank handeln nach dem Motto „Wenn andere an dich glauben, glauben wir auch an dich.“ Die Bundesregierung hat jetzt die GLS Bank beauftragt, ihr Angebot auszubauen: für 2010 sind 900 Mikrokredite geplant, bis 2015 sollen es 15.000 werden. Dabei sichert ein vom Europäischen Sozialfonds und der Bundesregierung zur Verfügung gestellter Mikrokreditfonds Kreditausfälle gegenüber der GLS Bank ab. Sein Volumen von 100 Millionen Euro ermöglicht einer noch nie da gewesenen Anzahl von Kleinunternehmen eine Zukunftsperspektive.

In jüngster Zeit erhielt die GLS Bank mehrere Auszeichnungen. Für ihr beispielhaftes Engagement wurde die GLS Bank mit dem Utopia Award 2008 ausgezeichnet. Eine weitere Auszeichnung erhielt der GLS Bank-Vorstand Thomas Jorberg vom future e.V.: den futureAward 2009, weil er „nicht nur Deutschlands ungewöhnlichster Bankdirektor, sondern auch einer der erfolgreichsten“ ist. Der Preis zeichnet Unternehmen aus, die zeigen, dass wirtschaftlicher Erfolg, Umweltengagement und Verantwortung für Mitarbeiter und Gesellschaft kein Widerspruch sind, sondern sich gegenseitig bedingen (www.future-ev.de). Das Magazin The New Economy kürte die GLS Bank zur Most Sustainable Bank Germany. Eine gemeinsame Umfrage von Deutschlands größtem Anlegermagazin Börse Online und dem Nachrichtensender n-tv führte zu dem Ergebnis: die GLS Bank ist die Bank des Jahres 2010. Mehr Info: www.gls.de

Die GLS Treuhand vermittelt Schenkgelder, damit „altes Geld“ (Geld, das der Besitzer nicht braucht)wieder zu „jungem Geld“ (Geld zum Kaufen von Waren und Dienstleistungen) werden kann. Dazu wurden mehrere Stiftungen gebildet, in die laufend zugestiftet werden kann, die aber auch ihr Stiftungskapital verwenden dürfen. Die Zukunftsstiftung Landwirtschaft startete beispielsweise im Jahr 2000 mit einem Kapitalstock von 1,6 Millionen Euro, der bis 2007 auf 637.000 Euro zurückging, aber durch laufende Zustiftungen konnten fast sieben Millionen Euro an Zuwendungen für landwirtschaftliche Projekte gegeben werden. Mehr Info: www.gls-treuhand.de

Die Hannoverschen Kassen (Hannoversche Alterskasse VVaG, Hannoversche Pensionskasse VVaG, Hannoversche Unterstützungskasse e.V.), die Altersruhegelder für Mitarbeiter an Waldorfschulen und anderen gemeinnützigen Trägern bis zur Fälligkeit verwalten und dann auszahlen, legen die ihnen anvertrauten Mittel nicht nur konservativ in Immobilien und Hypotheken an, sondern fördern auch Menschen mit Ideen, aber ohne ausreichende Mittel. Außerdem haben sie einen Sozialfonds für Mitgliedseinrichtungen gebildet. Mehr Info: www.hannoverschekassen.de

Komplementäre Währungen - auch Regionalwährungen genannt - stärken den bewussten Umgang mit Geld, das Regionalbewusstsein und damit die regionalen Wirtschaftskreisläufe. Sie bilden dadurch eine Gegenbewegung zur Globalisierung. Eine monatliche Abzinsung (Wertverlust) von ½ -1 Prozent pro Monat sorgt dafür, dass das Geld sich nicht vermehren kann, gehortet oder zu Spekulationszwecken verwendet wird, sondern ausschließlich dem Waren- und Dienstleistungsumsatz dient.

Die erfolgreichste Regionalwährung Europas ist der Chiemgauer: 4 Millionen Umsatz pro Jahr und knapp 600 beteiligte Unternehmen. Ihn haben Lehrer und Schüler der Waldorfschule Prien am Chiemsee entwickelt. Der Abschlag wird hier teilweise für soziale Projekte verwendet. Mehr Info: www.regiogeld.de, www.chiemgauer.info

Preis für Nachhaltigkeit: 2009 erhielt Christian Hiß, Demeter-Gärtner und Gründer der badischen Bürger- Aktiengesellschaft Regionalwert AG (RWAG) aus Eichstetten erstmals den vom Rat für nachhaltige Entwicklung ausgelobten Preis Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit verliehen. Die RWAG erwirbt landwirtschaftliche Betriebe und branchennahe Unternehmen, um sie an qualifizierte Unternehmer zu verpachten, die ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltig arbeiten wollen. Der Nachhaltigkeitsrat stellte bei der Preisverleihung besonders heraus, dass durch dieses Modell regionale landwirtschaftliche Betriebe unabhängig von überregionalen Finanzmärkten werden. Mehr Info: www.regionalwert-ag.de

Literaturverzeichnis

  • 1. Attali, Jacques: Brüderlichkeit –Eine notwendige Utopie im Zeitalter der Globalisierung, Stuttgart 2003
  • 2. Gemeinnützige Treuhandstelle Hamburg e.V. (Hg.): Zukunft geben, 23 Skizzen zum Stiften, Hamburg 2010
  • 3. Heidt, Wilfried: Die Chance der Befreiung, Ideen zur Emanzipation der Gesellschaft von densie beherrschenden Mächten, Achberg 2002
  • 4. Heisterkamp (Hg.): Kapital = Geist, Pioniere der Nachhaltigkeit: Anthroposophie in Unternehmen, Frankfurt 2009
  • 5. Herrmannstorfer, Udo: Scheinmarktwirtschaft–Die Unverkäuflichkeit von Arbeit, Boden und Kapital,Stuttgart 1991
  • 6. Institut für Zeitgeschichte im Internationalen Kulturzentrum Achberg, die Initiativ- Gesellschaft EuroVision und das Wiener Institut für europäische Gesellschaftsentwicklung (Hg.): Für eine Welt nach Maß des Menschen, Achberg 2006
  • 7. Perkins, John: Bekenntnisse eines Economic Hit Man, München 2005
  • 8. Perkins, John: Weltmacht ohne Skrupel, Heidelberg 2007
  • 9. Schmundt, Wilhelm: Der soziale Organismus in seiner Freiheitsgestalt, Dornach/ Schweiz 1968
  • 10. Steiner, Rudolf: Die Kernpunkte der sozialen Frage, Dornach/ Schweiz 1973
  • 11. Steiner, Rudolf: Nationalökonomischer Kurs, 14. Vorträge, Dornach/ Schweiz 1979
  • 12. Ziegler, Jean: Das Imperium der Schande, München 2005