„Dreigliederung als Gestaltungsprinzip der Institution Schule“

01.12.1984

Quelle
Zeitschrift „info3“
Dezember 1984, S. 12
Bibliographische Notiz

Mit einem Grundton des Bedauerns — oder habe ich mich verhört? — bemerkt Ramon Brüll (Info 3, 10/84, Seite 11 und 13), daß Rudolf Steiner „zur institutionellen Dreigliederung sehr wenig angeführt hat“. Aber das gerade, er hat es oft gesagt, unterscheidet seinen sozialen Impuls von der Utopie. Strukturelle Details hat er nur exemplarisch gegeben, gleichsam, um die Wegrichtung anzudeuten. In den „Kernpunkten“ sagt er, es wäre zu bedenken, „daß diese Schrift eben in keiner Beziehung utopisch gemeint wird. In ihr wird deshalb durchaus nicht theoretisch festgesetzt: Dies soll so oder so sein. Sondern es wird zu Menschengemeinschaften angeregt, die aus ihrem Zusammenleben das sozial Wünschenswerte herbeiführen können.“[1] Rückblickend auf die politische Dreigliederungsbewegung, äußerte er, daß man ihn falsch verstanden habe. Wie ein Rezeptbuch wollte man seine Anregungen verwenden. Das ist die Attitüde auch avantgardistischer Gruppen, die über kein lebendiges Weltbild verfügen: Man hakt sich recht unfruchtbar in Detailfragen fest.

Ein klares, lebendiges Weltbild aber gibt die Möglichkeit, äußerst beweglich und pragmatisch auf jede Zeitsituation zu reagieren, wie es gerade Rudolf Steiner vermochte. Man lese nur die Lehrerkonferenzprotokolle (GA 300 a-c). — Sie kommen ins Karikieren: Der Vorstand (des Schulvereins) bestimmt das soziale Geschehen und die Lehrerschaft das pädagogische. Das gibt es nirgends in den Steinerschulen! Das soziale Geschehen entwickelt sich in Kindesnähe, unmittelbar aus der gemeinsamen Arbeit von Lehrer und Schüler, und überträgt sich von hier aus — über Elternabende und -besuche u. a. — auf die Elternschaft. Aus diesem volkspädagogischen Vorgang erwächst die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Beteiligten in der Schulverwaltung und begründet ihren Anteil am „sozialen Geschehen“; aber auch diese urständet in der Lehrerkonferenz, denn „jeder Unterrichtende hat für das Unterrichten nur soviel Zeit aufzuwenden, daß er auch noch ein Verwalter auf seinem Gebiet sein kann.“[2] Die Organe des Schulvereins, in denen in der Regel auch die Lehrerschaft vertreten ist, sind nur „Schuldiener“ im vornehmsten Sinne des Wortes. Ihnen obliegt vor allem verwaltungsmäßige Routinearbeit und eventl. Beratung der (internen) Lehrerkonferenz für deren Entscheidungen in schwierigen technischen Sachfragen, die auch, wenn erforderlich, von der Konferenz delegiert werden können.

In alle Darstellungen der Dreigliederung hat Rudolf Steiner die historische Dimension hineingearbeitet, seien es nun die „Kernpunkte“ oder der „Nationalökonomische Kurs“, um seine Schüler vor sterilem „Beckmessern“ zu bewahren. Wer in den Impuls des Historischen hineinwächst, wird auch Gewordenes verständnisvoll und behutsam betrachten und nach seiner tatsächlichen Gegenwartsbedeutung bewerten können. So ist uns die erhebliche Bezuschussung unserer Schulen seitens der öffentlichen Hand nicht in den Schoß gefallen. Ähnlich wie Dr. Kienle, man kann wohl sagen heroisch, für die Existenz einer spirituellen Medizin und Pharmazie gestritten hat, gleichsam als Krönung seines Lebenswerkes, so hat sich kurz nach dem Kriege Dr. Schwebsch mit hoher Intelligenz und Zähigkeit für die finanztechnische Gleichstellung der Waldorfschulen mit den bereits staatlich unterstützten Privatschulen eingesetzt. Ich habe noch seinen befriedigten Blick vor Augen, wie er über diese erfolgreiche Arbeit berichtete. Denselben „Speer“ hat dann Ernst Weißert aufgenommen in seiner vorzüglichen Zusammenarbeit mit dem damaligen Justitiar der Privatschulen, Dr. Becker (jetzt Professor in Berlin), der ein gern gesehener und aktiver Gast auf den Stuttgarter Lehrertagungen gewesen ist.

Unter dem Titel „Dreigliederung als Gestaltungsprinzip der Institution Schule“ darf auch gefragt werden, wie eine solche Institution in den Gliedern des sozialen Organismus lebt. Selbstverständlich, eine Schule ist ein Glied des Geisteslebens, vom wirtschaftlichen Aspekt materiell konsumtiv, ideell produktiv geartet. Doch ist das alles? Ist diese Aussage nicht auch historisch zu modifizieren? Heute besteht die Schulpflicht und damit ein Recht auf Erziehung. Solange öffentliche Anliegen noch durch Steuern finanziert werden, wäre eine Abkoppelung des Schulwesens ein Rückfall in ein aristokratisches System, das sich elitäre Behandlung etwas kosten ließ. Wer einmal die Struktur etwa einer amerikanischen Zwergschule erlebt hat, wo u. U. einige wenige Geldgeber das Sagen haben, weiß die objektivere, ja würdigere staatliche Finanzierungshilfe zu schätzen, die gerade der Tätigkeit der Lehrer größere Freizügigkeit gewähren kann. Eine weitere Konsolidierung wäre nicht intern, sondern nur gesamtpolitisch denkbar: die Gewährung eines „Erziehungseinkommens“ oder „Schulbonus“ pro Kind in die Hand der Eltern, eines Titels, der erst in der von ihnen gewählten Schule Geldeswert erlangte.[3] Eine Verweigerung des Staatszuschusses seitens unserer Schulen wäre eine fragwürdige Roßkur, die pädagogisch nichts brächte, wohl aber die Gefahr der Verelendung des gesamten Schulorganismus in sich schlösse.

„Wir dürfen uns nicht differenzieren wollen von den anderen (konfessionellen oder weltanschaulichen) Privatschulen durch ein anderes Finanzierungssystem, sondern dadurch, daß wir die Prinzipien der Erziehung nicht vom Staat nehmen (wie die anderen Privatschulen in der Regel), sondern unmittelbar aus der Einsicht in die Erziehungsbedingungen in unserer Zeit. Deshalb sollten wir alle Kraft darauf verwenden, für diese zu kämpfen — und das Geld vom Staate als unser gutes Recht ohne die geringsten Bedenken nehmen. Je mehr wir das erstere tun, desto weniger wird das letztere die Freiheit unserer Schulen gefährden; aber umgekehrt führt der Weg in die Sektiererei. “[4]

Joachim Hein, Trittau

[1] Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft, Rudolf Steiner, Der kommende Tag, Verlag Stuttgart, 41./180. Tausend, 1920, S. 9-10.
[2] a. a. O. , S. 7
[3] Die Freiheit des Erziehungswesens im Zusammenhang mit seiner Finanzierung, Hans Georg Schweppenhäuser, Manuskriptdruck des Instituts für soziale Gegenwartsfragen, 1961, S. 23-24.
[4] Schweppenhäuser, a. a. O., S. 25